Ein grauenvolles Jubiläum: Am 11. September in diesem Jahr jährt sich der Putsch von General Pinochet gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende in Chile zum 50. Mal. Zehntausende Menschen wurden damals verhaftet, eingesperrt, gefoltert und ermordet. Viele, die irgendwie konnten, flohen ins Ausland. Der 11. September 1973 war der Auftakt für 17 Jahre blutige Diktatur, Elend und Exil.
Bei dieser Gelegenheit möchten wir uns aber auch daran erinnern, was solidarische Menschen zustande bringen können. Wir denken an die «Freiplatzaktion für Chile-Flüchtlinge» in der Schweiz, die kurz nach dem Putsch von Kaplan Cornelius Koch und der Jugendbewegung Longo maï1 ins Leben gerufen wurde. Auf einen Appell an alle Kirchgemeinden und politischen Gemeinden hin konnten über 3000 Beherbergungsplätze, sogenannte Freiplätze, für Geflüchtete aus Chile gefunden werden – und dies in Zeiten des Kalten Krieges als die Verfolgten in Chile in den konservativen Kreisen als «Kommunisten» und als «rote Gefahr» gehandelt wurden. Die Schweizer Regierung – der Bundesrat – weigerte sich auch aus diesen Gründen, chilenische Geflüchtete aufzunehmen.
Doch er hatte nicht mit der Reaktion einer breiten Bewegung in der Bevölkerung gerechnet, zu der die Freiplatzaktion schnell heranwuchs. Nur ein Beispiel: Die Einwohner·innen des kleinen Oberbaselbieter Bauerndorfs Titterten beschlossen spontan und einstimmig, fünf chilenische Verfolgte aufzunehmen. Ein Gemeindevertreter erklärte dazu: «Wenn fünf chilenische Kommunisten die Ordnung in unserer Gemeinde bedrohen, dann ist sie wirklich nicht viel wert.» Und im Dorf war zu hören: «Wir tun ja nur, was jeder Christ und jede Christin in einer solchen Situation tun muss». Diese einfache Solidarität multiplizierte sich im ganzen Land. Obwohl sich der Bundesrat quer stellte, gelang es schliesslich der Freiplatzaktion, teils auch auf «illegalen» Wegen, rund 2000 Chilenen und Chileninnen in die Schweiz zu holen, zu beherbergen und langfristig zu schützen.
Michael Rössler
- Aus dem Verein Longo maï mit Sitz in Basel ist 1990 auch das Europäische BürgerInnen Forum hervorgegangen.
Literatur und Film zur Freiplatzaktion:
Claude Braun und Michael Rössler: «Ein unbequemes Leben – Cornelius Koch, Flüchtlingskaplan», Seiten 55 – 84, Zytglogge, Oberhofen bei Thun, 2011, CHF 30.- + Portokosten. Bestellungen an: Europäisches BürgerInnen Forum, Postfach, CH-4001 Basel, ch@forumcivique.org
Daniel Wyss: «La barque n’est pas pleine», 2014, 56 min – Suisse, Streaming (f, d, espagnol, anglais, arabe): www.tv5mondeplus.com/fr/details/vod/106165422·74079A oder als DVD erhältlich.
Iara Heredia Lozar/Bastien Genoux: "Me duele la memoria", Suisse, 2018, mehrere Sprachen