In ihrem jüngsten Bericht vom März 2020 über die aktuelle Pandemie weist die NGO Grain(1) auf einen Aspekt der Krankheitsübertragung hin, der bisher nur wenig Beachtung gefunden hatte: die tatsächlichen Bedingungen der Massentierhaltung und ihre gefährliche Nähe zu dicht besiedelten städtischen Gebieten.
Die Epidemien von SARS, Vogelgrippe und zahlreichen anderen wiederkehrenden Plagen zeigen die reale Gefahr der Zoonose, der Übertragung dieser Krankheiten vom Tier auf den Menschen. Die Beispiele von AIDS, Ebola und anderen Viren waren bereits höchst alarmierend.
Die NGO Grain wurde für ihre intensive Arbeit im Bereich landgrabbing nach den Hungerunruhen von 2008 bekannt: Ein spekulativer Anstieg der Preise für landwirtschaftliche Produkte hatte diese Unruhen in den ärmsten Ländern ausgelöst und gewisse Leute dazu veranlasst, in riesige Flächen von Agrarland zu investieren. Zu Beginn ihrer Arbeit über Tierkrankheiten im Jahr 2006 veröffentlichte Grain einen Bericht über die globale Pandemie der Vogelgrippe H5N1, in dem sie Wildgänse und andere Zugvögel «freisprach» und auf die wahrscheinliche Verantwortung grosser Geflügelfabriken für die Ausbreitung der Krankheit hinwies. Im Jahr 2009, beim Auftreten der H1N1-Grippeepidemie wiederholte sie diese Warnung. (...) Nach Angaben dieser NGO gibt es keine stichhaltigen Beweise dafür, dass der Ursprung von SARS-CoV-2, also die Ursache der aktuellen Covid-19-Krankheitspandemie, in einem offenen Markt für Meeresfrüchte in Wuhan liegt, auf dem auch Wild- und Haustiere zu finden sind.
Grain hält auch das «zufällige Entweichen» eines künstlichen Virus aus dem Wuhan-Institut für Virologie, mit dem Frankreich seit mehreren Jahren zusammenarbeitet, für unwahrscheinlich.
Ein erster Fall von Covid- 19 wurde Mitte November 2019 in China bei einem Menschen diagnostiziert. Am 1. Dezember 2019 wurde ein weiterer Fall festgestellt, der nichts mit dem Markt von Wuhan zu tun hatte. Von den ersten 41 diagnostizierten Fällen hatten mindestens 13 nichts mit dem Wuhan-Markt zu tun. Auf dem Markt von Wuhan war keines der getesteten Tiere positiv. Das arme Schuppentier hatte wahrscheinlich nichts damit zu tun.
Vom Schwein auf den Menschen?
China ist der weltgrösste Konsument von Schweinefleisch, welches drei Viertel seines Fleischkonsums ausmacht. In diesem Land mit 1,4 Milliarden Einwohner·inne·n, das einen Binnenmarkt von 700 Millionen Schweinen besitzt, verzehrt jeder Mensch pro Jahr ein halbes Schwein. Die Hälfte der weltweiten Schweinefleischproduktion findet in China statt. Es gibt 40 Millionen Kleinproduzent·inn·en neben den riesigen industriellen Schweinefarmen. Die Provinz Hubei, in der sich die Stadt Wuhan befindet, gehört zu den 5 wichtigsten Schweinemastgebieten Chinas. 70 Millionen Schweine werden in dieser Region erzeugt. Es befinden sich dort 20 Betriebe mit mehr als 50‘000, sowie 500 weitere mit mehr als 10‘000 Schweinen.
Eine wissenschaftliche Studie weist darauf hin, dass dieses Virus, welches möglicherweise von einer Fledermaus stammt, zwei Hauptbedingungen erfüllen musste, bevor es den Menschen infizieren konnte. Erstens musste es eine grosse Anzahl von Tieren finden, die als Brutstätte für die Entwicklung des Virus dienen und die gewisse Kompatibilität mit dem Menschen haben. Es wurden zwar einige Übertragungswege in Betracht gezogen, die Schweinemast wurde jedoch nicht beleuchtet. Schweine und Menschen haben allerdings ein sehr ähnliches Immunsystem. Von einem langjährigen gemeinsamen Vorfahren haben Mensch und Schwein das für ACE2 kodierende Gen erhalten, das SARS-CoV-2 die Fähigkeit verleiht, Menschen zu infizieren. In einer ähnlichen Situation starben 2003 in China 700 Menschen an SARS (akutes respiratorisches Syndrom), das durch einen anderen Typ von Coronavirus verursacht wurde, und Wissenschaftler·innen haben im Labor nachgewiesen, dass dieses Coronavirus vom Schwein auf den Menschen gelangen konnte. Im Jahr 2008 tötete ein weiteres Coronavirus SADS (Schweinedurchfall-Epidemie) 20‘000 Ferkel in einem Betrieb. Glücklicherweise konnte die Epidemie gestoppt werden, bevor sie sich, wie jetzt die Covid-19-Pandemie, in der Welt verbreiten konnte.
Die Tatsache, dass China seit den 2000er Jahren und auch heute noch mit einer gigantischen Epidemie der PP (Schweinepest) konfrontiert ist, die im Sommer 2019 200 Millionen Schweine, d.h. ein Drittel der Produktion, dahingerafft hat, erklärt zweifellos, warum die aktuelle Epidemie des Coronavirus nicht rechtzeitig erkannt wurde.
Im Februar 2020 entwickelte sich zusätzlich in der Provinz Hunan an der Grenze zu Hubei eine H5N1-Vogelgrippeepidemie, ähnlich wie diejenige, welche im Jahr 2006 Europa in Aufruhr versetzt hatte. Diese Epidemien sind in den letzten 30 Jahren immer wieder in den Massentierhaltungsbetrieben aufgetreten. Die Reaktion war jedes Mal die gleiche: Massenschlachtungen, Zerstörung kleiner Familienbetriebe, die für diese Epidemien verantwortlich gemacht wurden, und eine überstürzte Konzentration der Fleischproduktion in wenige und immer grössere Agrarholdings, in denen eine Art Monokultur genetisch standardisierter Schweine praktiziert wird. Übrigens herrscht diese Standardisierung in allen Bereichen der Tier- und Pflanzenproduktion vor.
#Genetik als Übertragungsfaktor
Das in der Natur seit langem bekannte PRRS (Porzines Reproduktives und Respiratorisches Syndrom) oder auch Blauohrkrankheit wurde in den 1980er Jahren in amerikanische und europäische Landwirtschaftsbetriebe eingeschleppt. Dieses Phänomen steht im Zusammenhang mit den damals eingeführten genetisch uniformen und ertragreichen Tierarten, die für dieses Virus sehr empfänglich waren. Die Einführung von Impfstoffen hat sich aufgrund der sehr schnellen Mutationen dieser Krankheit als unwirksam erwiesen. Einige Wissenschaftler·innen vermuten sogar, dass diese Lebendimpfstoffe mit dem Auftreten noch virulenterer Formen der Krankheit in Verbindung stehen und möglicherweise beim Entstehen eines neuen Stammes in China im Jahr 2008 eine Rolle gespielt haben. Die Einführung von leistungssteigernden Gentechniken kann auch zu einer Ausbreitung in den Betrieben durch kontaminierte Zuchttiere oder kontaminierte Spermien führen. Im Jahr 1991 wurde das PRRS-auslösende Virus in Spanien in einer Gruppe importierter Schweine gefunden, im Jahr 1996 in Dänemark in einem Zentrum für künstliche Besamung, in Kolumbien in einer Gruppe importierter Ferkel, in China in den gleichen Jahren. In Vietnam ist das PRRS in grossen staatlichen Betrieben verbreitet und gelangt durch die Lieferung von Ferkeln in die Dörfer. Immer mehr Kleinbauern und -bäuerinnen mästen Schweine im Rahmen von Verträgen mit Unternehmen, die sie mit Ferkel, Futter und allem Weiteren versorgen.
Im Jahr 2019 hat ein grosser Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest (ASP) den Tod und die Tötung von sechs Millionen Tieren ausgelöst. In Afrika ist die Schweinepest schon immer heimisch gewesen. Die ASP wurde unglücklicherweise zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Siedler·in-ne·n ins östliche und südliche Afrika eingeschleppt, daher der Name Afrikanische Schweinepest.
In den östlichen Ländern
In den 2000er Jahren begann Russland mit der Einführung grosser industrieller Schweinefarmen an der georgischen Grenze in Form von Agrarholdings: riesige Betriebe, welche die gesamte Produktionskette kontrollieren und weite Landflächen aufkaufen. «Rusagro» und «Kuban Agro» sind die bekanntesten. Im Jahr 2007 wurde in Georgien, nahe der russischen Grenze, ein grosser Mastbetrieb von der Afrikanischen Schweinepest befallen – auch Russland wurde infiziert. Die kleinen, halbnomadischen georgischen Familienbe-triebe an der Grenze, deren Schweine wahrscheinlich durch Wildschweine angesteckt worden waren, wurden für diese Epidemie verantwortlich gemacht und daher ihre Tiere geschlachtet. Ab 2010 breitete sich die ASP in anderen Regionen Russlands aus. Hunderttausende Schweine wurden infiziert und massenweise geschlachtet. Heute ist die Schweinefleischproduktion in kleinen Betrieben halbiert, während sich die Anzahl grosser industrieller Schweinemastanlagen verdoppelt hat. Bis 2012 sind in Armenien und Aserbaidschan Infektionsherde entdeckt worden, die mit massiven Schlachtungen bekämpft wurden.
Zwischen 2013 und 2017 waren auch die ehemaligen Ostblockstaaten infiziert. Im Jahr 2015 war eine Kette von Mastbetrieben des Unternehmens Agrocomplex betroffen, einem der grössten ukrainischen Produzenten, das in der Nähe von Kiew seine Anlagen hat. 2017 kam es zu einer grossen Seuche in Rumänien, im Norden des Landes, in der Region Timisoara. Das Gleiche geschah im Jahr 2018, als 140‘000 Schweine in einem einzigen Betrieb geschlachtet wurden, und erneut im Jahr 2020. Ein niederländisches Unternehmen in Rumänien erhält von der EU 36,5 Millionen Euro als Entschädigung für die Schlachtung von 200‘000 ASP-infizierten Schweinen. In Bulgarien und Rumänien kam es zu Zusammenstössen mit Kleinbauern und -bäuerinnen sowie Dorfräten, die gegen die Schlachtung ihres Bestandes waren und die nicht entschädigt wurden, weil ihre Tiere nicht registriert waren. Zwischen 2016 und 2019 ereigneten sich ein Viertel der ASF-Todesfälle in Ost-europa in den Anlagen dänischer Unternehmen. Polen importiert 6 Millionen dänische Schweine pro Jahr, Russland 10‘000 Zuchtschweine. Grosse dänische Unternehmen – DAN-Invest AS, Zythomir Holding, SAERimner – sind in der Ukraine, Russland, Polen, Litauen, Rumänien und China vertreten. Von 2018 bis 2020 erreichte die ASP Griechenland, Bulgarien, Serbien, Ungarn, die Slowakei, schliesslich Asien, die Mongolei, Korea, Vietnam, Kambodscha, die Philippinen, Indonesien und China.
Übertragung durch Tierfutter
Die ASP traf 2018 in China da ein, wo das chinesische Unternehmen WH, das weltweit führende Unternehmen in der Schweineproduktion, seinen Sitz hat und über die grössten Schweinemastbetriebe in den USA, Rumänien und Polen verfügt. Weitere in China angesiedelte Unternehmen sind Thailands «Charoen Pokland», Chinas «Newhope» und «WEN», das grösste Schweinehaltungsunternehmen Chinas. 200 Millionen Schweine sind infiziert, und 1,2 Millionen werden offiziell geschlachtet, wahrscheinlich ist die Zahl aber höher. Riesige Tierverbrennungen und Massengräber werden organisiert. (...) Des Weiteren wurde festgestellt, dass 95 Prozent der Schweinefutterproben mit ASP kontaminiert waren und im Verdacht standen, Überträger der Krankheit zu sein. «Blutplasma», ein Protein, das aus Schweineblut aus China hergestellt wird, und dem Futter beigemischt wird, steht im Verdacht, Überträger der Krankheit zu sein. ASP-kontaminierte Partien von Wurstwaren der Firma WH wurden 2018 in China beschlagnahmt und vernichtet. (...)
Der Fluch des Fortschritts
Die Einheitlichkeit der Tierhaltungen in Bezug auf Genetik und Produktionssysteme hat zur Folge, dass die Tiere überhaupt nicht an die lokale Umgebung angepasst und daher anfällig für regionale Krankheiten sind. Anstatt mit regionalen Rassen zu arbeiten, die besser angepasst sind und über eine enorme genetische Vielfalt verfügen, werden diese massiv eliminiert, indem man ihnen die Schuld für das Übel zuschiebt und «moderne Industrierassen» einführt. Traditionelle Züchtung wird als ein Ärgernis, wenn nicht gar als Auslöser betrachtet, und als ein Hindernis für die offiziellen Krankheitsbekämpfungsstrategien. Es tauchen nun neue Begriffe auf wie Biosicherheit, sowie das Konzept von vollends abgeschotteten Zuchtbetrieben mit strengen Hygienestandards, die aber die Virusbelastung, welche eine Zeitbombe für alle Massentierhaltungen bedeutet, nicht in Frage stellen. Der «Weg des Fortschritts» ist unaufhaltsam.
Angesichts der Fleischknappheit in China bietet Argentinien diesem Land die Produktion von 100 Millionen Schweinen an und die Firma Cargill, ein Futtermittel- und Handelsmonster, die Produktion von Millionen Geflügel, um die verlorenen Schweine zu ersetzen. Es scheint, dass eine Hungersnot nicht weit entfernt ist und eine der nächsten Krisen darstellen könnte.
Warum betrachten wir nicht als Beispiel Madagaskar, das sich nach der Schlachtung seines gesamten Industrie- und Familienschweinebestandes auf Grund eines Regierungsbeschlusses zur Bekämpfung der Schweinepest im Jahr 1997 (2) für eine Rückkehr zu älteren, widerstandsfähigeren und robusteren Rassen entschieden hat? Madagaskar, das nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt ist, hat es geschafft, seinen lokalen Viehbestand wieder aufzubauen, und mit Hilfe der Kleinzüchter·innen, die Situation in den Griff zu bekommen.
- Grain: 1 https://grain.org/e/6441 – https://grain.org/e/6420. Weitere Links sind über diese Quellen zugänglich.
- Das madagassische Schweinefleisch war zum Grossteil für den Export bestimmt und nicht für die Eigenversorgung. Dennoch mussten 1997, nach der grossen Schweinepest, auch alle Tiere aus kleinen Familienbetrieben geschlachtet werden. Nach dieser Erfahrung und ohne die geringste Unterstützung von anderen Ländern kehrten die Inselbewohner·innen zu ihren alten, rustikalen Schweinerassen zurück.