Am 9. September 2021 wurde das Urteil im Revisionsprozess gegen die „7 von Briançon“(1) in Grenoble bekannt gegeben. Es lautet auf Freispruch – mit einem Haken.
Zur Erinnerung: Im Dezember 2018 waren fünf Aktivist·inn·en vom Strafgericht in Gap in erster Instanz zu je 6 Monaten Haft auf Bewährung sowie zwei von ihnen zu 12 Monaten Gefängnis, davon vier in geschlossenem Vollzug, verurteilt worden. Die Angeklagten hatten im April 2018 an einer antifaschistischen, grenzüberschreitenden Demonstration gegen die Präsenz der rechtsextremen identitären Bewegung in den italienisch-französischen Alpen teilgenommen. Sie hätten – laut Anklage – im Zuge der Kundgebung illegale Migrant·inn·en nach Frankreich eingeschleust. So waren sie wegen „Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt von Ausländern“ verurteilt worden. Jetzt wurden sie von diesem Vorwurf vollumfänglich freigesprochen. „Es handelt sich um ein extrem starkes Signal für all jene, die solidarisch und humanitär tätig sind“, freut sich Vincent Brengarth, einer der Anwälte, und begrüsst die Entscheidung des Gerichts als „eine sehr schöne Bestätigung der Unabhängigkeit der Justiz in einem sehr repressiven sicherheitspolitischen Kontext“. Doch die Freude der 7 von Bri-ançon ist getrübt, weil einer der Angeklagten, der wie die anderen vom Vorwurf der „Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt von Ausländern“ freigesprochen wurde, trotzdem wegen „Rebellion“ 4 Monate Gefängnis auf Bewährung erhielt.
Hier sind wir nun…
Das Unterstützungskomitee der 7 von Briançon meldete sich mit folgender Mitteilung nach dem Urteil zu Wort: „Hier sind wir nun, 3 Jahre und 4 Monate später, fast 1240 Tage des Wartens, etwa 40.000 vom Gericht verschlungene Euros, sich anschreien und umarmen... Und wofür das alles? Ein antifaschistischer Marsch, Grenzpolizisten, Richter·innen, ein Präfekt, Befehle, Verhaftungen, Prügel, Inhaftierungen, geflüchtete Menschen und blaue Ja-cken, die sie verfolgen... Die Alpen, Gebirgspässe, Schnee, Drohnen, Tarnanzüge, weitere Verhaftungen, ein Refugium, eine Mahlzeit, eine Nacht, ein Zug... Lächeln, ein Fussballspiel, Tränen... Ein Telefonanruf, Kontrollen, Schläge, Schreie, gefrorene Füsse, ein Krankenwagen, ein paar Blicke... Eine Nacht, die Menschenjagd, Lampen, Waffen, ein Fluss, ein ertrunkener Körper... Eine Klage und deren Ablehnung, Lügen, zu viele Lügen... Müdigkeit, sehr viel Müdigkeit... zu viel. Hier sind wir also. An diesem 9. September 2021, eine Ge-richtsentscheidung, eine weitere. Nur verschwendete Zeit, nur vergeudete Energie. (…)
Unser Dank geht an die Marodeure (freiwillige Bergretter·innen, Anm. d. Red.), die sich unermüdlich dafür einsetzen, dass es in der Region Briançon Solidarität gibt. Seitdem wir auf das Urteil gewartet haben, sind Hunderte von freiwilligen Helfer·inne·n an den Pässen und Grenzübergängen unterwegs, damit dort oben niemand stirbt. Denn unsere Berge dürfen nicht zu einem Friedhof werden.
Dieser Winter kündigt sich bereits als sehr schwierig an: Das geschundene Afghanistan treibt Frauen, Männer und Kinder auf den Weg ins Exil. Wir werden unser Bestes tun, um ihnen zur Seite zu stehen. Auch wenn es der Republik nicht gefällt: Wir sind auf der Seite der Solidarität, während sie sich für das Lager der Tragödien und des Todes entschieden hat.
Trotz alledem begrüsst unser Unterstützungskomitee die jetzige gerichtliche Entscheidung, die einen Schlag gegen die repressive Politik gegenüber den solidarischen Helfer·inne·n darstellt, die in der Gegend von Briançon oder anderswo engagiert sind. Es handelt sich in der Tat um einen politischen Sieg, denn wir haben nach einem mehr als dreijährigen Rechts-streit einen generellen Freispruch in Bezug auf das Solidaritätsdelikt erreicht.
Doch trotz dieses Sieges werden wir in den kommenden Wintern wachsam bleiben. Denn die Militarisierung der Grenze wird zu neuen Verfolgungen von Marodeuren und anderen freiwilligen Helfer·inne·n führen. Dabei ist klar: Wir werden uns weiterhin systematisch juris-tisch dagegen wehren. (…) Wir erinnern den Staat daran, dass seine Strategie der Spaltung uns nicht daran hindern wird, angesichts der Repression, die einen unserer Mitstreiter trifft, geeint zu bleiben. Mathieu, der am selben Tag wegen Rebellion zu einer 4-monatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt wurde, war in Wirklichkeit ein Opfer von Polizeigewalt. Er wird alles dafür tun, um die Omerta, welche die staatliche Gewalt umgibt, zu brechen. Wir erinnern daran, dass ihn sieben Polizisten am 22. April 2018 auf das Schwerste malträtiert hatten (verstauchter Nacken mit zehn Tagen vorübergehender Vollinvalidität nach einem Würgegriff und Schlägen auf der Terrasse eines Cafés) und dass er gegen diese Beamten eine Anzeige eingereicht hat. Die Untersuchung wurde aber erst im Juli 2021 eingeleitet.
Wir möchten all jenen danken, die uns in diesen langen Monaten bei den verschiedenen Mo-bilisierungen, durch ihre finanzielle Unterstützung und ihre Sympathiebekundungen begleitet haben. (…) Bis bald in diesem Winter!“
Einleitung, Übersetzung, Bearbeitung: Michael Rössler
- Siehe: „Antifaschist·inn·en vor Gericht“, Archipel Nr. 305, Juli/August 2021