GESTERN - HEUTE - MORGEN: Einzäunungen

von Simon Fairlie, 22.09.2015, Veröffentlicht in Archipel 240

Als Enclosure Movement wird die Auflösung der Allmendrechte in der englischen Landwirtschaft bezeichnet, bei der vorher gemeinschaftlich genutztes Land von privater Seite eingefriedet und intensiver genutzt wurde. Die Enclosure-Bewegung trieb die Kommerzialisierung der britischen Landwirtschaft voran. Dritter Teil.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts nahm in England der Anreiz ab, Ackerland in Grünland umzuwandeln. Dafür gab es eine Reihe von Gründen. Erstens wuchs die Bevölkerung schnell, da die Menschen vom ländlichen Raum in die städtischen Fabriken gedrängt wurden. Dadurch wurde mehr Land für die Lebensmittelproduktion benötigt. Zweitens begann importierte Baumwolle aus den USA und Indien, die englische Wolle zu ersetzen. Und drittens war inzwischen Schottland an England angeschlossen und sein weitläufiges Grünland lag bereit, «von den Schafen verschlungen» zu werden.
Schottische Räumungen
Die Tatsache, dass dieses Land von Menschen der Highland-Clans bevölkert war, stellte kein Hindernis dar. In einem Prozess, der heute als Clearances (also Aufräumen oder Leerungen) bekannt ist, wurden tausende von Highlander_innen aus ihren Häusern getrieben und dann nach Kanada verschifft oder nach Glasgow gekarrt, um Platz für die Cheviot-Schafe zu machen. Andere wurden an der Westküste zusammengepfercht, um Kelp-Algen zu ernten, damals für die Seifen- und Glasindustrie benötigt. Sie bildeten später den Kern der Crofting-Gemeinschaft, einer traditionellen schottischen Form des gemeinschaftlichen Kleinbauerntums. Manche Highland-Bewohner_in-nen wurden durch die Handlanger der Gutsherren buchstäblich aus Haus und Hof gebrannt. Hier ein Bericht von Betsy Mackay, die im Alter von 16 Jahren von den Ländereien des Duke of Sutherland «geräumt» wurde:
«Unsere Familie wollte überhaupt nicht weg und blieb also für eine Weile, aber die Brandstifter kamen und legten an beiden Enden unseres Hauses Feuer, und damit alles in Schutt und Asche, was sich noch im Haus befand. Die Menschen mussten um ihr Leben rennen, manche verloren alles ausser was sie am Leib trugen. Ihnen wurde gesagt, sie könnten gehen, wohin sie wollten, so lange sie sich nicht auf dem Land herumtrieben, das rechtlich ihr eigenes war. Sie wurden vertrieben wie Hunde.»1
Die Räumungen waren so gründlich, dass kaum jemand blieb, der sich hätte erinnern können und der gesamte Prozess wurde aus dem kollektiven Gedächtnis ausgeblendet. Erst mit «The Highland Clearances» von John Prebble und anschliessend mit «The Making of the Crofting Community» von James Hunter wurde ihre Geschichte wieder erzählt. Zum Erscheinen von Pebble’s Buch kommentierte der königliche Geschichtsschreiber von Schottland, Professor Gordon Donaldson: «Ich bin nun 68 und bis vor kurzem habe ich kaum etwas von den Highland Clearances gehört. Das ist alles völlig übertrieben.»2
Aber wie sonst kann die Unterbevölkerung der Highlands erklärt werden? Der Kanadier Hugh Maclennan beschrieb das Schicksal der Region sehr treffend in einer Abhandlung namens «Scotch-man’s Return» – «Die Rückkehr des Schotten»:
«Die Leere der Highlands, nur ein paar Hundert Kilometer nördlich des dicht besiedelten Englands, ist etwas weitaus anderes als die Leere unserer Nordwest-Landschaften. Über dem 60sten Breitengrad in Kanada spürst Du, dass niemand ausser Gott dort jemals gewesen ist. Aber in einem verlassenen Highland-Tal spürst Du, dass alle, die jemals dort gewirkt haben, tot oder fort sind.»3
Die parlamentarischen Einhegungen
Die letzte und umstrittenste Welle von Landeinhegungen in England fand zwischen 1750 und 1850 statt. Während der Zweck der meisten bisherigen Einhegungen war, produktives Ackerland in weniger produktives (allerdings für gewisse Privatleute lukrativeres) Weideland für Schafe umzuwandeln, veranlasste die Kolonisierung Schottlands (für Wolle) sowie die Indiens und der US-Südstaaten (für Baumwolle), die Befürworter der Einzäunungen eine andere Strategie zu verfolgen: Sie zielten darauf ab, offene Felder, Weideland und Ödland – eigentlich das gesamte Land – in produktivere Äcker und gemischte landwirtschaftliche Flächen umzuwandeln. Ihr Schlagwort war «Optimierung». Ihr ausdrückliches Ziel war Effizienz- und Produktionssteigerung und damit ein breites Proletariat sowohl zu erschaffen als auch zu ernähren, das entweder als Lohnarbeiter auf den verbesserten Feldern oder als Maschinenwächter in den Fabriken arbeiten sollte. Leider gibt es kein Buch mit dem alleinigen Studienfokus auf die enorme Zahl von Pamphleten, Berichten und Hetzreden – oft mit aufrührerischen Titel wie «Einhegungen aufgerissen» oder «Die schreiende Sünde Englands, sich nicht um die Armen zu kümmern» – , die sowohl von den Befürworter_innen als auch von den Kritiker_innen der Einhegungen im 17., 18. und frühen 19. Jahrhundert veröffentlicht wurden.4
Die Hauptargumente der Be-fürworter_innen waren:

  • dass das Open Field System die Optimierung der Böden verhindert, beispielsweise die Einführung von Klee, Rüben und Vierfelderwirtschaft, weil Einzelpersonen nicht fähig zu Innovation seien;
  • dass die Ödländer und Allmendwiesen überweidet oder überwuchert waren und überstockt mit halbverhungertem Vieh;
  • dass diejenigen, die von der Allmende lebten, erstens «faul» und zweitens «verarmt» waren (in anderen Worten «nicht geneigt, für Lohn zu arbeiten»), und dass die Einzäunungen der Allmende sie in Anstellungsverhältnisse zwingen würde.
    Die Hauptargumente der Gegner_innen waren:
  • dass die Allmende des Grünlands und des Ödlands die Hauptstütze der unabhängigen Armen waren; wenn sie überweidet waren, geschah das oft als Folge von Überstockung durch die reichsten Allmendteilhaber_innen, die auch gleichzeitig Stimmung machten für die Einhegungen;
  • dass die Einhegungen sowieso schon wohlhabenden Landbe-sitzer_innen zugute kämen, die Armen vom Land in städtische Slums vertreiben und infolge die Region entvölkern würden.
    Die Frage von landwirtschaftlicher Optimierung ist schon eingehend beurteilt worden, mit dem Vorteil des historischen Rückblicks, und dieser Bericht wird später wieder darauf zurückkommen. Damals profitierte die Propaganda für die Einhegungen massgeblich von der staatlichen Unterstützung. Die lauteste Stimme für die Optimierung, der ehemalige Landwirt Arthur Young, wurde Erster Sekretär von Premierminister William Pitts neuer Landwirtschaftskammer, ein klassisches Beispiel für das Sprichwort «Die, die’s drauf haben, tun’s – die anderen werden Berater». Diese machte sich daran, eine Serie von Übersichten der Landwirtschaft aller Grafschaften im Jahr 1793 zu veröffentlichen. Die Landwirtschaftskammer «war keine Regierungsabteilung, wie sein moderner Namensvetter, sondern ein Verband von regierungssubventionierten Gentlemen, hauptsächlich Landbesitzer, mit dem Zweck den Fortschritt der Landwirtschaft zu befördern.» Tate beobachtet: «Die etwa 90 Bände wiederholen sich fast gleichlautend in der Betonung, dass landwirtschaftliche Optimierung durch Einhegungen realisiert wurde und dass mehr Einhegungen stattfinden müssen.»5
    Während die Einschätzung, dass Einhegungen Optimierung beschleunigten, weitgehend richtig gewesen sein mag, ist es nichtsdestotrotz angemessen, diese Berichte Staatspropaganda zu nennen. Als Arthur Young 1801 seine Meinung änderte und dem Kammerausschuss einen Bericht vorlegte, der zeigte, dass die Einhegungen tatsächlich sogar schwere Armut in zahlreichen Dörfern verursacht hatten, «sagte mir [der Ausschuss – nachdem er einen Monat verstreichen liess], ich könne persönlich damit machen, was ich wolle, aber ihn nicht im Namen der Kammer veröffentlichen... wahrscheinlich wird er ohne jeglichen Effekt veröffentlicht.»6
    Young war nicht der einzige Verfechter der Einhegungen, der seine Meinung änderte: John Howlett war ein weiterer prominenter Befürworter der Einhegungen, der das Lager wechselte, nachdem er sah, welches Elend sie hervorbrachten.
    Zwischen 1760 und 1870 gingen fast 3 Millionen Hektar (etwa ein Sechstel der Fläche Englands) von der Allmende in eingehegtes Land über, kraft ca. 4000 Parlamentsbeschlüssen.7 Wie wichtig dieser Prozess auch immer für die Optimierung der landwirtschaftlichen Ökonomie gewesen sein mag oder auch nicht, es war schlichtweg Diebstahl. Millionen von Menschen hatten juristisch oder per Gewohnheitsrecht Zugang zu ihrem Land und die Basis ihrer Lebensgrundlage wurde ihnen entrissen durch etwas, was ihnen vorkommen musste wie ein kafkaeskes Tribunal, geführt vom Hellfire Club (historische exklusive Vereinigung der englischen Oberschicht, Anm.d.Ü.). Wenn Sie meinen, das sei eine schillernde Übertreibung, dann lesen Sie J.L. und Barbara Hammonds Berichte von Viscount «Bully» Bolingbroke’s Versuch, das Land Kings’ Sedgemoor einzuhegen, um seine Spielschulden zu bezahlen: «Bully», schrieb der Vorsitzende des Komitees zur Beurteilung des Antrags, «hat ein System für die Einhegungen, welches, wenn es funktioniert – so wurde mir gesagt – ihn von allen Schwierigkeiten befreien wird.» Lesen Sie auch Spencer/ Churchill’s Antrag, ungeachtet anhaltender Opposition aus der Bevölkerung, die Allmende in Abingdon einzuhegen.8 Und wenn Sie misstrauisch sind, dass der Hammonds-Bericht sehr extreme Beispiele zitiert (rechts stehende Historiker betrachten ihn eher verächtlich)9, dann schauen Sie sich bei Tate die Karte an, die die Wahlbezirke der Abgeordneten zeigt, die erschienen, um Einhegungsgesetze für Oxfordshire zu diskutieren. Es gab damals im Parlament keine Pflicht, «Interessenskonflikte» zu deklarieren. Von 796 Fällen des Erscheinens von Abgeordneten zur Diskussion der neuen Oxfordshire-Gesetze waren 514 Abgeordnete aus Oxfordshire, von denen die meisten sicher Landbesitzer waren.10 (…) Die «Demokratie» des englischen Parlaments im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert zeigte sich weniger verantwortlich für die Interessen der Bevölkerung als die Diktaturen der königlichen Tudors und Stuarts es taten, jedenfalls was dieses Thema betrifft. Könige, im Gegensatz zu Landbesitzern, sind etwas unparteiischer bezüglich lokaler Interessen, und somit mag es nicht allzu sehr überraschen, dass die widerständige Bevölkerung oft den König um Gerechtigkeit anrief. (Ein ähnlicher Fall kann bei den jüngsten Protesten chinesischer Bauern beobachtet werden, die an die höheren Ränge der Kommunistischen Partei für Schutz gegen die Enteignung kollektiven Lands durch korrupte Funktionäre appellieren).
  1. John Prebble, The Highland Clearances, 1963, S. 79.
  2. Alastair McIntosh, Wild Scots and Buffoon History, The Land 1, 2006, verfügbar auf Englisch unter www.alastairmcintosh.com/articles/2006-wild-scots.htm.
  3. Zitiert nach James Hunter, Skye, the Island, Mainstream, Edinburgh, 1986, S. 118.
  4. Die besten Berichte sind zu finden auf SS. 1-52 in Neeson, Commoners: Common Right, Enclosure and Social Change in England, 1700-1820, Cambridge University Press, 1993. Es gibt jedoch auch interessantes Material in Tate, W. E., The English Village Community and the Enclosure Movements, Gollancz,1967.
  5. W. H. R. Curtier, The enclosures and redistribution of our land, Elibron 2005 (Oxford 1920); Tate op. cit. Ein Pro-Einhegungs-Resümé der General Views (Überblicke) ist zu finden in Lord Ernle, English Farming Past and Present, 1912, SS. 224-252.
  6. Arthur Young, Autobiography, 1898, Neuauflage 1967 durch A. M. Kelley.
  7. G. Slater, Historical Outline of Land Ownership in England, in The Land, homepage.ntlworld.com/janusg/landls.htm und The Report of the Land Enquiry Committee, Hodder and Stoughton, 1913.
  8. John Lawrence und Barbara Hammond, The Village Labourer, Guild, 1948 (1911), S. 60.
  9. In Customs and Commons, Penguin, 1993 (Neuauflage in 2009 bei Merlin Press Ltd.), Thompson spricht von «der langen historiografischen Reaktion gegen diese bemerkenswerten Historiker*in, die Barbara und John Lawrence Hammond sind», S. 115.
  10. Tate, op. cit., S. 97.