Die Zusammenhänge, Hintergründe und die Aussichten auf ein Ende des israelisch-palästinenschen Konflikts beschäftigen uns alle – natürlich noch viel mehr seit einem Jahr. Hier wird in zwei sehr unterschiedlichen neuen Büchern die Situation hinterfragt und analysiert.
Wir fragen uns, warum Deutschland weiterhin Waffen an Israel liefert. Deutschland ist nach den USA einer der wichtigsten Waffenlieferanten für Israel. Beide stimmten Anfang April 2024 gegen die nicht bindende Resolution des UN-Menschenrechtsrats, in der ein Stopp von Waffenlieferungen an Israel verlangt wird. Dies sei notwendig, «um weitere Verletzungen von internationalem humanitären Recht und Menschenrechtsverletzungen zu verhindern», hiess es in einer Resolution des Gremiums.*
Das Buch «Apartheid in Israel – Tabu in Deutschland?» von Arne Andersen, Johannes Feest und Sebastian Scherer bietet einen umfassenden, facettenreichen Einblick in eine der umstrittensten Debatten unserer Zeit. Es geht um den israelisch-palästinensischen Konflikt und die Positionierung Deutschlands dazu. Die Autoren dieses hochaktuellen Buches legen mit ihrer detaillierten Analyse die Grundlagen, um die intensiven Auseinandersetzungen in Deutschland rund um jüdisches Leben, um Israel und Palästina nachvollziehbar zu machen. Im Mittelpunkt steht die Frage, warum diese Debatten gerade in Deutschland mit solch besonderer Schärfe geführt werden. Der erste Teil des Buches geht den historischen und politischen Wurzeln des Konflikts nach und untersucht die Entwicklung der Region von der Entstehung des Zionismus bis hin zur Gründung des Staates Israel im Jahr 1948. Dabei wird aufgezeigt, dass die Ursachen des Konflikts nicht erst mit der Staatsgründung begannen, sondern weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückreichen, als die ersten jüdischen Einwanderungen in das damalige Palästina stattfanden. Im zweiten Teil beleuchten die Autoren die internationalen und gesellschaftspolitischen Dynamiken, welche die Auseinandersetzungen in der Gegenwart prägen. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung (BDS), die als globaler Ansatz versucht, einen neuen Weg im Umgang mit dem palästinensisch-jüdischen Konflikt zu finden. Die Autoren hinterfragen kritisch, wie die BDS-Bewegung in den USA und in Deutschland auf die Meinungsfreiheit wirkt und analysieren, wie der Staat Israel versucht, diese Bewegung als antisemitisch darzustellen und zu bekämpfen. Hierbei wird deutlich gemacht, wie der Diskurs um BDS immer wieder zum Brennpunkt politischer Auseinandersetzungen in Deutschland wird. Der dritte Teil des Buches widmet sich der Debatte um den sogenannten «israelbezogenen Antisemitismus» und die damit verbundenen Einschränkungen der Meinungsfreiheit in Deutschland. Es wird untersucht, wie der Vorwurf des Antisemitismus oftmals dazu verwendet wird, kritische Stimmen zu Israel zu delegitimieren, und welche gesellschaftlichen und politischen Folgen dies mit sich bringt. Zukunftsvisionen Besonders bemerkenswert ist die tiefe Auseinandersetzung mit alternativen Zukunftsvisionen: Die Autoren greifen sowohl die Vision eines binationalen Staates der jüdischen Philosophin Hannah Arendt als auch die Ideen des palästinensischen Intellektuellen Edward Said auf. Sie versuchen, diese Ansätze in die heutige Zeit zu übertragen und zeigen auf, wie diese Ideen neue Perspektiven für ein friedliches Zusammenleben zwischen Juden/Jüdinnen und Palästinenser·innen eröffnen könnten. Durch zahlreiche Fotos, Schaubilder und Tabellen wird der Zugang zum komplexen Thema erleichtert und bietet den Leser·innen eine gut verständliche und visuell unterstützte Einführung. «Apartheid in Israel – Tabu in Deutschland?» bietet eine fundierte, tiefgehende Analyse und regt gleichzeitig zur Reflexion über den Status quo und mögliche Alternativen für die Zukunft an. Arne Andersen steht gerne für Lesungen zur Verfügung und freut sich über Einladungen, um im direkten Austausch mit dem Publikum über die Themen des Buches zu diskutieren.
«Apartheid in Israel – Tabu in Deutschland?», Neuer ISP-Verlag, ISBN: 978-3-89900-160-0, 500 Seiten, 24,80 €.
Die obenstehende Buchvorstellung wurde (bis auf den 1. Absatz) in «Pressenza.Berlin» am 5. September 2024 veröffentlicht.
- Quelle: Tagesschau, ARD, April 2024
In dem Buch «Die Hamas, Herrschaft über Gaza, Krieg gegen Israel» schildert der israelisch-deutsche Historiker Joseph Croitoru die Entstehung und Entwicklung der Hamas und deren Unterstützung durch israelische Regierungen.
Die Hamas ist «zugleich politische Bewegung, Wohlfahrtsorganisation und Miliz». Ihr militärischer Arm, der seit 1991 von der Kampf- und Terrorgruppe der Qassam-Brigaden gebildet wird, gewann allerdings im Laufe der Entwicklung immer mehr Einfluss innerhalb der Organisation – Einfluss in Wort und Tat. Die Grundlagen ihres politischen Programms: Der Konflikt mit Israel sei ein religiöser, Moslems stünden gegen Juden. Und er sei nur mit Gewalt zu lösen. Die Hamas hat alle Friedensbemühungen konsequent bekämpft, und zwar nicht nur mit Worten, sondern mit Taten. Mit Selbstmordattentaten in den 1990er Jahren hat sie zum Scheitern des Friedensprozesses von «Oslo» und zum Erstarken der friedensfeindlichen israelischen Rechten wesentlich und ganz bewusst beigetragen. Brutal hat sie die «Palästinensische Befreiungsorganisation» (PLO) bekämpft, vor allem von dem Moment an, als diese dem Terrorismus abschwor und den politischen Weg einer Verständigung mit Israel gehen wollte. Es ist schockierend zu lesen, wieviel palästinensisches Blut die Hamas vergossen hat, im Kampf gegen die PLO, durch Liquidierung von Kollaborationsverdächtigen und nicht zuletzt dadurch, dass sie die Bevölkerung immer wieder in bewaffnete Kämpfe gegen Israel gehetzt hat, obwohl die Opferzahlen auf palästinensischer Seite jedes Mal und vorhersehbar viel höher waren als auf israelischer.
Israelische Regierungen haben – teils absichtlich, teils ungewollt, teils in Kauf nehmend – zum Erstarken der Hamas beigetragen. Der Grund war allemal, dass sie in ihrer Verblendung mit allen Mitteln die Entstehung eines palästinensischen Staates verhindern wollten. Vor der Gründung der Hamas hat Israel die Islamisierungsbemühungen unterstützt, um die PLO zu schwächen, ohne die Gefahren zur Kenntnis zu nehmen, die in der beabsichtigten Verwandlung des Palästina-Konflikts in einen religiösen Konflikt lagen. Bei der Zerstörung des Friedensprozesses klappte das Zusammenspiel zwischen den Radikalen beider Seiten, Hamas und israelischer Rechten, geradezu perfekt. Sie schaukelten sich gegenseitig hoch. Je rechter die israelische Regierung und Volksmeinung, desto plausibler die Hamas-Forderung nach einer Zerstörung Israels. Je aggressiver die Hamas, desto rechter wurde Israel. Israelische Regierungen sorgten zuverlässig dafür, dass die politische Versöhnungs-Strategie der PLO erfolglos blieb – ein Grund dafür, dass die Hamas triumphierte und die PLO an Einfluss verlor. Bis zur Attacke des siebten Oktobers genehmigte die israelische Regierung beachtliche Geldtransfers an die Hamas und stellte für Arbeiter und Arbeiterinnen Einreisebewilligungen nach Israel aus. Sie ermöglichte so die Entfaltung der Hamas.
Es gab Anzeichen
Erst recht haarsträubend ist, was Croitoru zur Vorgeschichte der Invasion vom siebten Oktober recherchiert hat. Es fehlte nicht an Warnungen, dass sich an der Grenze des Gaza-Streifens etwas zusammenbraute, aber Armeeführung und Regierung Israels waren taub, denn sie waren obsessiv damit beschäftigt, die aggressiven Siedler und Siedlerinnen der Westbank zu schützen und zu unterstützen, um ihre verbrecherischen Annexionsabsichten voranzubringen. Zwei von vielen schockierenden Fakten: Eine der israelischen Soldatinnen, denen die Bedienung der Überwachungsanlagen entlang des Grenzzauns zu Gaza oblag, sagte einem hochrangigen Offizier der Gaza-Division, der die Militärbasis einen Monat vor dem Angriff des siebten Oktober besuchte: «Hier wird es Krieg geben und wir sind nicht vorbereitet». Der Offizier reagierte lediglich mit einer Rüge dafür, dass sie es gewagt hatte, ihn direkt anzusprechen. (S. 173) Die Folge dieser allgemeinen und staatlichen Verblendung im Vorfeld des siebten Oktober beschreibt Croitoru so: «So waren in der Zeit vor der terroristischen Grossoffensive im Grenzgebiet zum Gazastreifen gerade mal vier Armeebataillone fest stationiert, deren Trupps an diesem Samstag wegen des Feiertags nur zur Hälfte einsatzbereit waren, während gleichzeitig in der Westbank zweiunddreissig Bataillone operierten.» (S. 172 f) «Zudem waren die örtlichen Abwehrgruppen der israelischen Siedlungen in den besetzten Palästinensergebieten, inklusive der illegalen ‘Aussenposten’, bei der Versorgung mit Waffen bevorzugt worden, während das Militär die Bereitschaftstrupps in den Orten rund um den Gazastreifen immer weiter vernachlässigte – nicht nur durch sukzessiven Entzug der Waffen, sondern auch durch die Reduzierung des Trainings und des direkten Kontakts.» (S. 174)
Croitoru vermutet, dass das Ende der Hamas-Herrschaft in Gaza gekommen sei: «Ihre eineinhalb Jahrzehnte währende Alleinherrschaft in Gaza wird in die Annalen der Region wohl als weiterer gewaltsam verhinderter Versuch eingehen, ein islamistisches Regime zu etablieren – ähnlich dem ihrer Mutterorganisation, der Muslimbrüder in Ägypten.» (S. 194) Das könnte ein Funken Hoffnung sein, wenn Israel gleichzeitig auch die rechtsradikale Netanyahu-Regierung samt ihrer Unterstützung im Volk loswürde.
Joseph Croitoru: «Die Hamas. Herrschaft über Gaza, Krieg gegen Israel», C.H.Beck München 2024
Dieses Buch wurde von Felix Schneider für Infosperber, Kontertext vom 25.08.2024 rezensiert.