LAUTSPRECHER: Ein Aufstand lässt sich nicht auflösen!

von Soulèvement de la terre, 05.12.2023, Veröffentlicht in Archipel 331

Der Staatsrat als oberstes Verwaltungsgericht Frankreichs hat Anfang November das Dekret des Ministerrates zur Auflösung der «Soulèvements de la terre» (Aufstände der Erde) aufgehoben. Das ist ein schwerer Rückschlag für das Innenministerium.

Diesen Sieg haben wir Euch zu verdanken: Den 210 lokalen Komitees, die seit Darmanins1 Ankündigung aus dem Boden geschossen sind, den 150.000 Menschen, die bekräftigt haben: «Wir sind alle die Aufstände der Erde», den 5000 Menschen, die mit uns eine Klage gegen das amtliche Verbot eingereicht haben, dem beispiellosen Kräfteverhältnis, das wir in den letzten sechs Monaten gegen die beabsichtigte Auflösung aufgebaut haben.

Diese Entscheidung des Staatsrates bekräftigt, was die Bewegung seit drei Jahren aufzeigt: Unsere Aktionen des Ungehorsams sind in der Lage, den Lauf der Ereignisse entscheidend zu beeinflussen; wir können uns gegen die staatliche Repression verteidigen und siegen; wir können verheerende Mega-Projekte stoppen und multinationale Ökozid-Konzerne zurückdrängen.

Mit dem Argument, die Aktionen der Bewegung stünden in keinerlei Verhältnis zu einer gewaltsamen Auflösung, bestätigt der Staatsrat unserer Meinung nach die Idee, dass angesichts der Verwüstung durch private Firmen, durch die intensive Landwirtschaft und den Wasserraub unsere Aktionsformen als legitim angesehen werden können und müssen. Diese Entscheidung weckt Hoffnungen für den weiteren Verlauf des Kampfes, den wir angesichts der laufenden Zerstörungen führen müssen.

Aber wir lassen uns nicht täuschen. Diese Entscheidung nimmt auch das Kräfteverhältnis zur Kenntnis, das wir aufgebaut haben, sowie die unglaubliche Unterstützung, die wir erhalten haben. Im Grunde war klar, dass die Auflösung nicht durchsetzbar sein würde, weil sie eine große Solidaritätswelle auszulösen drohte. Der Staatsrat hat bestätigt, dass man Aufstände nicht auflösen kann.

Dennoch bleibt die heutige Entscheidung des Staatsrats in anderer Aspekten zutiefst freiheitsfeindlich. Die Auflösung der «Groupe Antifasciste de Lyon et Environs» GALE (Antifaschistische Gruppe von Lyon und Umgebung) und der «Coordination Contre le Racisme et l’Islamophobie» CRI (Koordination gegen Rassismus und Islamophobie) stellt einen gefährlichen Präzedenzfall dar. Sie billigt eine äusserst weit gefasste Definition des Begriffs der Provokation. So reicht es aus, dass eine antirassistische Bewegung Islamophobie anprangert, um aufgelöst zu werden. Es genügt, dass eine antifaschistische Bewegung die wiederkehrende Polizeigewalt und die Hegemonie der extremen Rechten anprangert und kritisiert, damit sie keine Daseinsberechtigung mehr hat. Das jetzige Zugeständnis des Staatsrats gegenüber den «Soulèvements de la terre» muss zu einem Hebel für all jene werden, die gegen die freiheitsbedrohenden Massnahmen des Separatismusgesetzes[2] kämpfen wollen. Wir möchten diesen Sieg nutzen, um nie wieder zuzulassen, dass die Regierung Kollektive auflöst, die aus sozialen, ökologischen und antirassistischen Kämpfen hervorgegangen sind. In den kommenden Wochen und Monaten werden wir gemeinsam gegen die Sondermassnahmen dieser Regierung vorgehen. Wir werden die Solidarität mit Migrant·innen oder JO-Arbeiter·innen[3] angesichts des anstehenden verschärften Einwanderungsgesetzes verstärken. Wir werden auch die Aktionen der «Soulèvements» mit lokalen Koordinationen ausweiten, Blockaden, Besetzungen und Entwaffnungen[4] durchführen, um Land und Wasser als Gemeingut zu verteidigen: in Castres gegen die A69, in der Bocage von Loire-Atlantique, um die Erweiterung von Steinbrüchen zu stoppen, in Maurienne gegen den Durchstich des Lyon-Turin-Tunnels, in Les Vaîtes, um die Schrebergärten von Bisont zu verteidigen, gegen die kommerzielle Erschliessung des Girose-Gletschers, gegen die Errichtung eines Logistiklagers in der Île de France auf einer Insel der Biodiversität, den Bau eines Mega-Wasserbeckens in der Region Limousin oder die Aneignung von Agrarland durch Hedgefonds.[5] Bereits jetzt rufen breite Koalitionen zu Aktionstagen gegen Lafarge und die Welt des Betons vom 9. bis 12. Dezember auf.[6]

Und für den 20. und 21. Juli nächsten Jahres kündigt die Anti-Beton-Front bereits eine neue internationale Mobilisierung auf den Feldern von Poitou an. Dies wird die Gelegenheit sein, sich noch massiver als bisher für die Verteidigung von Land und Wasser zusammenzuschliessen.[7]

Bis gleich, auf den Strassen und in den Industriegebieten, auf den Feldern und im Herzen der Bocages[8]. Ein Aufstand lässt sich (wirklich) nicht auflösen!

Kommuniqué der «Soulèvements de la terre», 9. November 2023

  1. Gérald Darmanin: Frankreichs aktueller Minister für Inneres und Übersee

  2. In einem Paragraphen des im August 2021 verabschiedeten Separatismusgesetzes steht, dass Vereine wegen Handlungen angeklagt werden können, die von ihren Mitgliedern begangen werden oder die direkt mit deren Aktivitäten zusammenhängen. Der vom Parlament verabschiedete Text sieht vor, dass der Innenminister einen Verein bis zu seiner Auflösung suspendieren kann.

  3. JO = Jeux Olympiques. Zu den Olympischen und Paralympischen Spiele 2024 werden viele ausländische Arbeiter·innen nach Frankreich kommen.

  4. Entwaffnen bedeutet hier so viel wie die Maschinen durch Verstopfen, Demolieren, unter Wasser setzen, Neutralisieren ... ausser Kraft zu setzen.

  5. Ein Hedgefonds ist eine hochspekulative Geldanlage mit hoher Rendite und sehr hohem Risiko.

  6. https://lessoulevementsdelaterre.org/blog/appel-international-a-des-journees-d-actions-contre-lafarge-et-le-monde-du-beton

  7. https://lessoulevementsdelaterre.org/blog/20-21-juillet-2024-stop-mega-bassines-prochaine-prochaine-mobilisation-internationale)

  8. Landschaftstyp im Westen Frankreichs