Die Ausstellung über Falea1 wurde am Weltsozialgipfel in Dakar Anfang Februar 2011 gezeigt. Anschließend reiste eine Delegation des Europäischen BürgerInnenforums nach Falea ins südmalische Hochland, im Grenzgebiet zu Senegal und Guinea. Afrika, Sahel, Sand und Wüste, heiß und Malariamücken sind die üblichen Assoziationen mit Mali. Doch Falea hinterließ bei den europäischen BesucherInnen andere Bilder: Grün, Bäche, Quellen, Gärten, große Mangobäume und keine Mücken.
Hier will die kanadische Gesellschaft Rockgate Capital Corp Uran abbauen. Bedeutet dies, dass 150 km2 Land inklusive Falea in eine radioaktiv verseuchte Grube verwandelt werden?
Straßen und Häfen
Viele Bewohner Faleas, einer Gemeinde mit 21 Weilern und ca. 17.000 Einwohnern, kennen den handwerklichen Goldabbau. Doch Uran ist unbekannt, obwohl die französische Firma Cogema2 dort bereits 1970 mehr als 80 Prospektionslöcher gebohrt und die kanadische Firma Rockgate Capital Corp seit etwa vier Jahren Probebohrungen nach Uran durchführen lässt. Die Bevölkerung ist nicht informiert und kann sich auch kaum informieren: Sie wohnt außerhalb jedes Mobilfunknetzes, von Festnetz oder Internet ganz zu schweigen. Der Ort liegt 90 km von der nächsten Stadt (Kenieba) entfernt. Vier Stunden Fahrt im Allrad, und in der Regenzeit macht der Fluss Falémé während sieben bis acht Monaten die Straße unpassierbar.
Nun bringe Rockgate die Hoffnung nach Falea, dass endlich eine Straße gebaut werden wird. Kommt dazu, dass sich, seit Rockgate da ist, die Hühnchen zum doppelten Preis verkaufen lassen. Die herrlich mundenden, ungespritzten Orangen aus Falea werden ebenfalls besser bezahlt. Das Rockgate Explorations Camp stellt Wachpersonal zum fast dreifachen Monatslohn ein – 90 Euro statt der üblichen 30 bis 40 Euro pro Monat. Hilfsarbeiter bei den Sondierbohrungen erhalten sogar 225 Euro pro Monat. Tagelöhner werden mit vier Euro pro Tag entschädigt. „Wenn die Bevölkerung und die Umweltnormen respektiert werden, dann gibt’s wohl nichts gegen die Mine einzuwenden. Mine ist Fortschritt und Fortschritt bringt Straßen“ meint ein Faleaner zu einem Besucher.
Auf der Reise von Dakar bis zur malischen Grenze und von da nach Kéniéba konnte die Delegation des EBF die neue Straße an die malische Grenze benutzen. Sie hat den Namen westafrikanischer Südkorridor Bamako-Dakar. Die Weltbank, die Europäische Investitionsbank, die japanische Entwicklungsagentur Usaid, China, die afrikanische Entwicklungsbank, die islamische Entwicklungsbank, die Regierungen Senegals und Malis arbeiten zusammen mit der westafrikanische Wirtschafts- und Währungsunion bei der Realisierung dieser Straßenverbindung zwischen Dakar und Bamako, die auf Hunderten von Kilometern dem Verlauf der aus kolonialen Zeiten stammenden Schmalspur-Eisenbahnlinie3 folgt. Die Tochterfirma der chinesischen staatlichen Eisenbahnen, Covec-Mali, arbeitet an der Fertigstellung des Straßenabschnittes von der malischen Grenze bei Kéniéba bis nach Bamako. Ebenso dabei ist die französische Baufirma Razel4, die seit 2009 zum Fayat Konzern gehört. Die japanische Gesellschaft Dai Nippon Construction baut die drei Brücken auf dieser Strecke. Die japanischen Gelder sind als nichtrückzahlbare Kredite eigentliche Schenkungen. Staatliche Entwicklungsgelder für Infrastrukturmaßnahmen, damit multinationale Konzerne kostengünstig den Rohstoffreichtum dieser Gegenden abführen können. Ein Hafen, der das rationelle Verladen der Rohstoffe ermöglicht, sei etwa 60 km südlich von Dakar geplant.
Unheimliche Geister und Radioaktivität
Uranerz steckt zumeist in geologischen Tiefen. An einigen Orten auf dem Hochplateau von Falea hat Rockgate aber Uranadern fast an der Oberfläche gefunden. Die Bevölkerung meidet diese Orte, denn unbekannte Geister treiben da ihr Unwesen. Diese unheimlichen Geister oder eben Radioaktivität sind unsichtbar, sie riechen nicht und verbreiten sich geräuschlos.
«Wir haben den Beweis, dass radioaktive Strahlung Veränderungen in den Genen der Chromosomen auslöst. Je nachdem, welche Gene betroffen sind, ist eine Leukämie besser oder nur sehr schwer zu behandeln» sagt die Onkologin vom Inselspital in Bern, Anette Ridolfi, der WoZ5. «Schon seit den Atombombenabwürfen von Hiroshima und Nagasaki ist bekannt, dass radioaktive Strahlung Leukämien und bösartige Tumore verursacht.» Die Strahlung der AKWs beeinflusst nachweislich die menschlichen Geschlechtsorgane. In einem Umkreis von gut zwanzig Kilometern um ein AKW erblicken statistisch weniger Mädchen das Licht der Welt.
Beim Uranabbau6, bei der Produktion von Elektrizität im AKW, bei der Endlagerung der strahlenden Atomabfälle kann man Radioaktivität weder hören, noch riechen, noch sehen. Das nützen die Nuklearlobby und ihre Unternehmen skrupellos aus.
„Im Niger – wo seit mehr als vierzig Jahren Uran abgebaut wird - lockte die Möglichkeit des schnellen Geldverdienens Tausende von Arbeitern an. Viele von ihnen Tuareg, die von der radioaktiven Strahlung und den gesundheitlichen Risiken ihrer Arbeit nichts wussten und auch nicht aufgeklärt wurden. Die Bergarbeiter nahmen ihr Mittagessen auf den Urangesteinsbrocken sitzend ein und gingen mit den Kleidern voller Staub nach Hause... die Kinder spielten auf ihrem Schoß, und die Frauen wuschen ihre Kleider mit der Hand …“.7
In Falea arbeiten die lokalen Hilfskräfte bei den Probebohrungen nach Uranerz und das temporäre Personal am Kernbohrer ohne irgendwelche besonderen Schutzmaßnahmen. „Die geringe Strahlung, die da anfällt, ist nicht gefährlich“, sagte der Delegation ein von Rockgate für drei Monate beschäftigter kanadischer Arbeiter. Geruchlose, geräuschlose und unsichtbare Gefahren drohen dort, wo sich Ignoranz und Dummheit ein Stelldichein geben. Die Rockgate crew feierte letztes Jahr den Fund einer hochprozentigen Uranerzader nahe der Erdoberfläche mit Ziegenbraten und Champagner am gleichen Ort, den die Faleaner wegen der unheimlichen Geister, die dort ihren Spuk treiben, wie der Teufel das Weihwasser meiden.
Manchmal dauert es Jahre, bis ein Krebs oder eine Leukämie ausbricht. Wann und wo die Verstrahlung stattgefunden hat, kann kaum mit Gewissheit nachgewiesen werden. Bei temporär Beschäftigten mit Sicherheit überhaupt nie.
Yellocake
Aus Uranerz wird der handelbare Rohstoff Yellowcake hergestellt. Dieser kann zu einer Atombombe verarbeitet werden, die bekanntlich mit verheerender Wirkung explodiert (Nagasaki, Hiroshima). Militärs und Armeen in vielen Staaten sind an dieser Waffe interessiert. Aus dem Yellowcake werden Brennelemente hergestellt, die in einem Atomkraftwerk kontrolliert abbrennen und in Elektrizität umgewandelt werden können. AKWs liefern in Frankreich 75 Prozent des Stroms vor allem als Sockelenergie, die Wasser- und Gaskraftwerke liefern die Verbraucherspitze8.
Three Mile Island 1979, Tschernobyl 1986 und nun Fukushima 2011. Die Kernenergie ist weder nachhaltig noch umweltfreundlich und produziert auf jeden Fall eine radioaktive Verstrahlung. Militärs und die Uranindustrie wissen dies schon seit langem. Ihre UNO-Organisation, die Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA), hat schon 1959 mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf eine Art Maulkorbabkommen vereinbart. Untersuchungen über die gesundheitlichen Folgen von Verstrahlungen müssen vor ihrer Veröffentlichung von der IAEA begutachtet werden. Diese Vereinbarung legt den Schluss nahe, dass sowohl Militärs wie Uranindustrie wissen, dass sie der Öffentlichkeit kontinuierlich etwas vormachen. Kein nuklearer Zwischenfall, keine Havarie in einem AKW und kein Atomtest, der nicht von der seit Jahrzehnten gebräuchlichen Formel begleitet wird: Nach Angaben der Atomsicherheitsbehörden stellen sie keine unmittelbare Gesundheitsgefährdung dar.
Der Atommeiler von Tschernobyl explodierte am 26. April 1986, vor fünfundzwanzig Jahren. Noch heute behauptet die WHO in dem von der IAEA abgesegneten Bericht vom September 2005, dass 56 Tote und in den Jahren danach etwa 4.000 Krebsopfer der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl zugeordnet werden können9. Die Zahlen der WHO sind so genau wie die Verlautbarung der französischen Regierung einige Tage nach dem Tschernobylgau: Die mit radioaktiven Staubpartikeln geschwängerte Wolke von Tschernobyl hätte an den Grenzen zu Frankreich halt gemacht.
Der russische Umweltwissenschafter, Professor Alexej Yablokov, und die beiden weißrussischen Atomphysiker Alexej und Vassili Nesterenko vom Institut für Strahlungssicherheit (Belrad) in Minsk haben unter Berücksichtigung Tausender von unabhängigen Studien nach 24 Jahren Untersuchungen nachgewiesen10, dass man von mehr als 950.000 Todesfällen ausgehen muss, die durch die direkte Bestrahlung im Umfeld des Atommeilers und durch die Tschernobylwolke verursacht wurden.
Die die Radioaktivität verharmlosende Informationspolitik der Weltgesundheitsbehörde ist ein teuflischer Pakt11 mit der Internationalen Atomenergieagentur und hat schwerwiegende Konsequenzen. Seit mehr als vier Jahren stehen täglich Menschen in Genf am Eingang zum Hauptsitz der WHO und fordern die Kündigung des Abkommens aus dem Jahre 1959.
Eigenartigerweise hat die WHO die Vogelgrippe 2005 als bedrohlicher eingestuft als die Tschernobylwolke von 1986. An den Arbeitsplätzen im Uranabbau, bei der Produktion von Yellowcake, bei den Unterhaltsarbeiten in den Atomanlagen, beim Transport der Abfälle und bei der Verwaltung der Zwischen- und Endlager sind viele Menschen involviert. „Die geplanten Atommülllager müssen für eine Million Jahre halten und demzufolge mindestens zehn Eiszeiten und zahllose Erdbeben überstehen können“.12
Sowohl beim Uranabbau in Falea wie bei den unmittelbaren Anwohnern der Atommeiler bei uns ist es nicht einfach, die unhörbare, unsichtbare und geruchlose Bedrohung ins Bewusstsein zu bringen, wenn deren Auswirkungen immer wieder dank WHO und IAEA in den großen Medien verharmlost werden.
Keine Uranmine in Falea!
In Folge der diversen Aktionen unserer malischen Freunde, der Solidarität des EBF, zahlreicher solidarischer Stellungnahmen und schliesslich der Delegation der Criirad (französische Kommission für unabhängige Forschung und Information über Radioaktivität) in Falea, verkündete der Präsident von Mali, Amadou Toumani Touré Ende März, dass es keine Uranmine in Falea geben wird. Sicher hat der grauenvolle Unfall in Fukushima seine Entscheidung massgeblich beeinflusst - umso mehr hoffen wir, dass es nicht nur bei einem hohlen, den Umständen entsprechendem Versprechen bleibt.
Seit etwas mehr als einem Jahr versucht der Verein der Ehemaligen aus Falea (ARACF), die Einwohner ihrer Heimatgemeinde zu informieren. Im Februar 2011 besuchte eine Delegation des EBF Falea. Besichtigungen und intensive Gespräche mit den Einwohnern wechselten sich ab mit dem Aufbau einer Satellitenkommunikation. Fortan müssen die Faleaner nicht mehr 40 km mit einem Motorrad zurücklegen, um in den vom Mobil-Telefonnetz abgedeckten Bereich zu gelangen. Unabhängig von Rockgate können sie nun dank der Unterstützung der Stadt Genf und des Umwelt- und Gesundheitsamtes der Stadt Zürich kommunizieren und damit zum Beispiel auch Vorkommnisse vor Ort und Fragen zu den Aktivitäten der Prospektionsfirma mit ARACF oder Regierungsstellen in Bamako besprechen. In den kommenden Wochen sollte ein Lokalradio vor Ort die Sendungstätigkeit aufnehmen können. Dann können Begriffe wie Röntgenstrahlen, Millisievert, Radongas, Radionukleide, Gamma-, Alpha- und Betastrahlen in den vier lokalen Sprachen erklärt werden. Mit zwei Geigerzählern und einem Scintillometer sind schon seit mehreren Monaten einige Einwohner damit beschäftigt, vor einem eventuellen Uranabbau Messungen des sogenannten Nullpunkts durchzuführen.
In der Gegend von Arlith in Niger wird vom französischen Atomkonzern Areva seit 40 Jahren Uran abgebaut. Wird es dem EBF gelingen, einigen Frauen, den Dorfältesten und dem Bürgermeister von Falea eine Reise nach Arlith zu ermöglichen, damit sie die Konsequenzen des Uranabbaus dort kennen lernen können? Sicher braucht es dazu angesichts der aktuellen Verhältnisse ein breit abgestütztes Patronat von ParlamentarierInnen und solidarischen europäischen und nordamerikanischen Gemeinden, so wie es die Stadt Genf bereits vormacht.
Vielleicht beginnt schon im kommenden September in Falea ein universitäres Forschungsprojekt, das die Respektierung international gültiger Umweltnormen und demokratischer Standards analysiert.
Wird es ARACF gelingen, Mittel zu finden, damit eine freie Theatergruppe während einem Jahr in Falea mit der lokalen Bevölkerung zusammenarbeiten und so mit einer Inszenierung mit dem vorläufigen Arbeitstitel „Die Geister und die Radioaktivität“ bei uns in Europa und in den Weilern Faleas und einigen Dörfern Malis auf Tournee gehen kann?
Können wir vielleicht gemeinsam dazu beitragen, dass in Falea statt Uranabbau Garten- und Ackerbau unterrichtet werden können? Im botanischen Laboratorium des universitären Instituts für Schwarzafrika in Dakar haben wir die Zusammenfassung einer wissenschaftlichen Studie erhalten, die aufzeigt, dass das südmalische Grenzgebiet zu Senegal und Guinea eine erhaltenswerte, immense botanische Vielfalt beherbergt.
In Lateinamerika wurde ein Gerät erprobt, das den handwerklichen Goldabbau ohne Quecksilber ermöglicht. Ein in Falea entstehendes Institut könnte diese Alternative zum industriellen Goldabbau für die ganze Region vermitteln.
- Siehe Archipel Nr. 176 respektive www.falea21.org . Die Wanderausstellung kann französisch, englisch, deutsch, und italienisch gegen eine kleine Miete in Universitäten, soziokulturellen Zentren u.a. gezeigt werden.
- COGEMA - Compagnie générale des matières nucléaires, heute AREVA, die größte Nukelarfirma der Welt, zu 90 Prozent im Besitz des französischen Staates, mit 50.000 Beschäftigten, die sich damit brüstet, ausschließlich CO2 neutrale Energie zu produzieren.
- Siehe "Mit der Karawane durch Westafrika, Archipel Nr. 190, Februar 2011.
- Razel hat unter anderem auch den Bauauftrag für das Forschungs-AKW Jules Horowitz im ITER Projekt bei Cadarache in Südfrankreich
- WOZ vom 03. 2. 2011, „Leukämie tut weh, wahnsinnig weh“, von Susan Boos
- Yellow Cake (Die Lüge von der sauberen Energie), Dokumentarfilm von Joachim TSCHIRNER, 2010
- Günter WIPPEL, Strahlende Wüste, Robin Wood Nr. 99/4.08
- Wenn abends das ganze Volk den Fernseher einschaltet, müssen zum Beispiel Wasser-, Gas- oder Dieselkraftwerke die angeforderte zusätzliche Energie liefern.
- Report of the Chernobyl Forum, WHO-Pressemitteilung September 2005
- Chernobyl: Consequences of the Catastrophe for People and the Environnement, Annals of the New York, Academy of Sciences Vol. 1181, February 2010
- TAZ, 26 April 2006, Artikel von Andreas ZUMACH
- Aus „Energie und Umwelt“ der Stiftung SES, 1/2011