Ein hoher Zaun, auf jedem Schritt und Tritt Kameras, Fenster mit Gefängnisgittern und fast kein Tageslicht in den Zellen: Wie ein amerikanisches Hochsicherheitsgefängnis sieht das vom ÖVP[1]-nahen Institut ICMPD[2] gebaute Abschiebezentrum im bosnischen Camp Lipa aus. Mehrere hundert Menschen wurden in den letzten Tagen (Anfang April) aus Kroatien in dieses Lager abgeschoben.
Die türkisgrüne Bundesregierung und das Land Oberösterreich sind mit einer Summe von mindestens 1,1 Millionen Euro Hauptgeldgeber des in den Bergen isolierten und polizeilich abgeschotteten Horrorcamps. Dort, wo Geflüchtete einst Cricket spielten, steht jetzt der Gefängnisbau. Gleichzeitig bringen Polizeibusse dieser Tage immer wieder Geflüchtete, die illegal aus Kroatien ins bosnische Camp gebracht werden. «Wir wollten Asyl in Kroatien beantragen, aber die Polizei verhaftete uns und brachte uns in eine Garage, wo wir vier Tage festgehalten wurden. Es war sehr kalt. Alles, was es gab, war ein wenig Wasser und Brot», berichtet A. aus Ghana in einem Video-Interview. Geflüchtete, die Opfer der fast täglich stattfindenden Massen-Pushbacks wurden, bezeugen in Videos von SOS Balkanroute schwere, systematische Menschenrechtsverletzungen. Ein Geflüchteter aus Afghanistan erzählt in einem Video, dass die kroatische Polizei Geld, Handys und Schuhe einsammelte und alles verbrannte. Die Migrant·inn·en wurden geschlagen und nach einer Woche nach Lipa gebracht. Fast alle Betroffenen berichten, nahezu ausnahmslos, von massiver Gewalt durch die Polizei.
Pushbacks aus dem Landesinneren
«Wir konfrontieren seit Jahren Politiker·innen mit Beweisen von schweren Menschenrechtsverletzungen an Geflüchteten im bosnisch-kroatischen Grenzgebiet. Die österreichische Justizministerin Alma Zadić hat von uns persönlich bereits vor drei Jahren tausende, akribisch dokumentierte Beweise für diese systematische Gewalt erhalten. Österreich forciert nun diese Gewalt gegen Geflüchtete nicht nur durch wirtschaftliche und politische Zuwendungen, sondern ist auch noch am Bau eines Gefängnisses für Geflüchtete federführend beteiligt. Lighthouse Reports veröffentlichte u.a. in Kooperation mit dem ORF3, Spiegel und kroatischen Zeitungen erneut Beweise für rechtswidrige Massenpushbacks aus dem Landesinneren von Kroatien nach Bosnien. Hier wird internationales Recht ebenso wie die Geflüchteten mit Füssen getreten. Asylansuchen dürfen laut der Genfer Flüchtlingskonvention ohne Fallprüfung und Rechtsverfahren nicht abgewiesen werden, Menschen dürfen nicht in eine Gefahr abgeschoben werden und Folter ist nach Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verboten. Menschenrechtliche Verpflichtungen lassen sich durch kein bilaterales Abkommen und keine «Readmission»-Vereinbarung ausser Kraft setzen. Die koordinierten Massen-Pushbacks aus dem Landesinneren verlangen eine sofortige Aussetzung der Dublin-Abschiebungen nach Kroatien.» Soweit Petar Rosandić, Obmann der SOS Balkanroute. 560 Menschen wurden während der letzten Tage (Anfang April) aus Kroatien in das bosnische Camp Lipa gebracht, wo – wie oben bereits erwähnt – die ÖVP-nahe Organisation ICPMD ein Gefängnis baut.
Ein abscheulicher Bau
Die neu entstandene Situation, durch die der an Kroatien grenzende Una-Sana-Kanton wiederum zum Flaschenhals wird, sorgt vor Ort für Unmut. Wie der Bürgermeister von Bihać Elvedin Sedić mehrfach in Medienauftritten betonte, baute ICPMD das Gefängnis ohne Baugenehmigung der Stadt. «Bei den Genehmigungen für das Camp Lipa seitens der Stadt war nie ein Gefängnis geplant», betont Sedić. Der kantonale Premierminister Mustafa Ružnić fühlt sich ebenso übergangen und fordert ein Ende der illegalen Pushbacks nach Bosnien: «Niemand hat es für nötig gehalten, uns als lokale und kantonale Regierungen zu informieren». Und der bosnische Minister für Menschenrechte Senad Hurtic erklärt: «Es ist abscheulich, ein Gefängnis in einem Flüchtlingscamp zu bauen.»
Mittlerweile bestätigen das EU-Office in Bosnien, das bosnische Fremdenamt und der Bürgermeister von Bihac, dass das ICMPD – welches seit 2016 unter der Leitung des österreichischen Ex-Vizekanzlers und Ex-ÖVP-Politikers Michael Spindelegger steht – für den Bau der Haftzellen verantwortlich ist. Bereits im Februar hat das ÖVP-nahe ICMPD einer italienischen Zeitung bestätigt, dass es für den Bau der Gefängniseinheit im Flüchtlingscamp Lipa zuständig ist, «dass dies aber vertraulich sei».
Das österreichische Bundesministerium für Inneres (BMI), welches das ICMPD grosszügig fördert, weiss nach Anfragen von Medien nichts von dem Bau des Abschiebegefängnisses innerhalb des Camps, und das ICMPD hüllt sich bis heute in Schweigen – abgesehen von dem Statement in der oben erwähnten italienischen Zeitung. Es wirkt bizarr, warum sowohl dem Bau der Haftzellen ohne Baugenehmigung als auch den Massen-Pushbacks aus dem Landesinneren Kroatiens in das Flüchtlingscamp in Bosnien nicht weiter nachgegangen wird. Und warum wird konsequent geschwiegen? Inzwischen hat Karl Nehammer, Bundeskanzler und Mitglied der ÖVP, eine Aufstockung der österreichischen Polizei und des technischen Equipments im Balkan angekündigt.
Der Balkan als Abschiebezone
Dem Innenministerium, auch wenn es dementiert, wird das Gefängnisprojekt sehr wohl bekannt sein, da Österreich der Propagandist innerhalb der EU ist, um aus den Balkanländern eine «Pufferzone» machen zu wollen. Die «Joint Coordination Platform» (JCP) im Innenministerium in Wien ist für zahlreiche Implementierungsschritte des «Regional Return Mechanism» zuständig, eines Abkommens, das im Februar 2022 von Innenministern und Institutionen der EU im Geheimen unterzeichnet wurde. Kurz zuvor, im September 2021, hatte Karl Nehammer bei seinen Reisen in Südosteuropa bereits darüber gesprochen. Schon 2020 wurde bei der vom damaligen Innenminister Nehammer initiierten Rückkehr-Ministerkonferenz in Wien beschlossen, dass die gemeinsame Koordinierungsplattform JCP einen «regionalen Rückführungsmechanismus für den Westbalkan» einrichten soll. Dabei sollen ein Rückführungszentrum gebaut und Westbalkanländer bei Abschiebungen unterstützt werden. Dies würde in Kooperation mit dem Projektpartner ICMPD passieren. Laut parlamentarischen Anfragebeantwortungen ist das Innenministerium mit der Steering Group des ICMPD in regelmässigem Austausch und grösster Fördergeber des Thinktanks, bei dem sich das Personal und die Kosten seit der Übernahme durch den früheren ÖVP-Obmann Michael Spindelegger vervielfältigt haben.
Vom Leid profitieren
«ÖVP-nahe Institute wie das ICMPD verdienen an dem Leid der schutzsuchenden Menschen. Aber auch das ÖVP-nahe Hilfswerk International, das unter dem Motto der grenzenlosen Hilfe um Spendengelder wirbt, spezialisiert sich mittlerweile auf Grenzschliessungen, veranstaltet Konferenzen zu Grenzmanagement und Rückführungen, macht mit bosnischen Polizist·inn·en ‚Trainings gegen illegale Migration‘, schweigt aber zu der alltäglichen Gewalt gegenüber unbegleiteten Minderjährigen durch die Grenzpolizei an den EU-Aussengrenzen», kritisiert Petar Rosandić von SOS Balkanroute. Das Hilfswerk International sammelt bei seinen Unterstützerinnen und Unterstützern bis heute noch Spenden für die Wasserversorgung von geflüchteten Menschen im Camp Lipa. Diese brach jedoch Ende Juni 2022 zur heissesten Zeit genau dort zusammen. Zudem ist das Hilfswerk mittlerweile ins Grenzmanagement involviert, ohne seine Spender·innen über die neue Ausrichtung zu informieren. Während 2018 das Budget für die Grundversorgung für Asylwerber·innen in Österreich fast halbiert wurde, erhöhte man die Fördermittel für das ICMPD. Dem Institut flossen laut einer weiteren parlamentarischen Anfrage seit 2010 fast drei Millionen Euro seitens des Bundesministeriums für Inneres (BMI) zu und zwei weitere Millionen über Projekte, deren Abrechnungsstatus auch der ÖVP-Untersuchungsausschuss nicht klären konnte.
Schockierende Komplizenschaft
Das ICMPD verdient nicht nur an der Aufrüstung der Grenzen, sondern auch an der libyschen Küstenwache. Gegen diese gibt es bereits zahlreiche Beweise für über 40.000 rechtswidrig durchgeführte Pushbacks nach Libyen, bei denen Geflüchtete in Gefängnislagern gefoltert, erpresst und getötet werden. Die libysche Küstenwache hat vor kurzem die «Ocean Viking» an der Rettung von ertrinkenden Menschen durch Schüsse in die Luft gehindert. Vielfach wurde in diesem Zusammenhang belegt, wie die libysche Küstenwache Menschen in Seenot die Hilfe verweigerte. Die französischen Anwälte Omar Shatz und Juan Branco zogen 2019 gegen die EU vor den Internationalen Strafgerichtshof, um die libysche Küstenwache wegen ihrer mit europäischen Steuergeldern finanzierten Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verklagen. Bereits 2020 landete das ICMPD in den Schlagzeilen, da mehrere NGO eine Beschwerde beim europäischen Rechnungshof wegen Zweckentfremdung von 90 Millionen Euro eingereicht hatten. Das für die Armutsbekämpfung vorgesehene Geld war aus dem EU-Treuhandfonds für Afrika (EUTF) entnommen und für Trainings und Boote der libyschen Küstenwache eingesetzt worden. Dies bestritt damals das ICMPD, auf dessen Homepage aktuell ein neues Trainingsprojekt mit der libyschen Küstenwache beworben wird, das im Januar 2023 gestartet ist und mit 5 Millionen Euro gefördert wird.
Das Schweigen durchbrechen
Österreich ist – durch die Bundesregierung, das Bundesland Oberösterreich, das vom Innenministerium BMI geförderte ICMPD, durch das BMI selbst, die «Austrian Development Agency» (ADA) sowie das Hilfswerk International – der wichtigste Akteur und Hauptgeldgeber in Lipa. Die Logos hängen am Zaun des Gefängnisses und sprechen für sich. Die Massen-Pushbacks auf massiven Druck Österreichs und das Gefängnis in Lipa sind zugleich ein Skandal der gesamten österreichischen «Entwicklungszusammenarbeit». Petar Rosandić erklärt dazu: «Jetzt gilt es, die österreichische Schweigespirale zu diesem Skandal zu brechen und vereint als Zivilgesellschaft die Inbetriebnahme des Gefängnisses zu verhindern. Denn der Bau von Gefängnissen für Menschen, die nichts verbrochen haben, ausser auf der Suche nach einem besseren Leben zu sein, ist der Anfang vom Ende. Wir alle sind gefordert!»
Rückfragen und Kontakt: Petar Rosandić, team@sos-balkanroute.at
ÖVP – österreichische Volkspartei
Das «International Centre for Migration Policy Development» (ICMPD) ist eine internationale Organisation, die von Österreich und der Schweiz 1993 gegründet wurde und mittlerweile 19 Mitgliedsstaaten (Stand 2022) umfasst. Das ICMPD wurde gegründet, um Forschung, Projekte und Aktivitäten zu migrationsbezogenen Themen durchzuführen und politische Empfehlungen an die Regierungsbehörden von Staaten sowie an externe staatliche und zwischenstaatliche Stellen zu übermitteln.