RUMÄNIEN: Das Recht auf Land

von Szöcs-Boruss Miklos Attila, Eco Ruralis, 17.07.2021, Veröffentlicht in Archipel 305

Dies ist die Geschichte von Millionen von Bauernfamilien in Osteuropa. Wir haben das Scheitern des Kommunismus erlebt, und jetzt erleben wir die Wildnis des Kapitalismus. Unser Land wurde uns durch Reformen zur Landumverteilung zurückgegeben, nur um es uns im Namen der privaten Industrialisierung und Kapitalakkumulation wieder wegzunehmen.

Es gibt Millionen von Bauern und Bäuerinnen in Rumänien und ganz Osteuropa, die das Land bearbeiten und gesunde, nahrhafte Lebensmittel produzieren. Wir alle haben eine besondere Verbindung zum Land. In Rumänien werden die Bäuer·innen "țărani" genannt, was wörtlich übersetzt „Menschen des Landes“ bedeutet. Diese kulturelle Verbindung zum Land existiert überall in Osteuropa in Ländern wie Polen, der Ukraine oder Bulgarien.

Ich stamme aus einem alten Bauerngeschlecht. Meine Familie und andere Bäuer·innen aus ganz Rumänien standen stets an vorderster Front in den Kämpfen um Land. Als das kommunistische Regime in den 1950er Jahren beschloss, die Kontrolle über das Landwirtschaftssystem zu übernehmen, wurden meinem Grossvater das Land und die Tiere weggenommen und er wurde, zusammen mit den Männern, Frauen und Jugendlichen vom Land, in Arbeiter·innen im Dienste der kommunistischen Partei verwandelt. Ihr Wissen, ihr Saatgut und ihre historische Verbindung zum Land wurden im Namen der Industrialisierung von der Partei an sich gerissen.

Als Rumänien der Europäischen Union beitrat, traten ihr dadurch mehr als 4 Millionen bäuerliche Betriebe bei! Aber die Türen öffneten sich in beide Richtungen, so hat Rumänien heute eine sehr zweiseitige Agrarlandschaft. Auf der einen Seite haben wir kleine Familienbetriebe, die mehr als 55 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen besitzen – mehr als 7 Millionen Hektar – während es auf der anderen Seite etwa 28.000 Unternehmen gibt, die fast 6 Millionen Hektar Ackerland kontrollieren. Im Grunde genommen konzentriert sich ungefähr die Hälfte der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche Rumäniens in den Händen von 0,8 Prozent der Landwirtschafttreibenden – eine enorme Konzentration von landwirtschaftlichen Flächen.

Wer sind diese 0,8 Prozent?

Eine Reihe von ihnen sind grosse agro-industrielle Unternehmen mit rumänischem oder multinationalem Kapital. Die grössten dieser Unternehmen kontrollieren zusammen mehr als 200.000 Hektar Ackerland. Eines von ihnen, ein Unternehmen mit libanesischen Anteilseignern, hat einen Agrar-Verbund von fast 50.000 ha, wobei allein einer ihrer Betriebe über Parzellen von 27.000 ha verfügt. Andere aus dieser elitären Gruppe von 0,8 Prozent spekulieren lediglich auf den Preis von osteuropäischem Ackerland. Für sie wurden unsere Ländereien nichts weiter als eine Ware auf dem nun freien europäischen Markt. Die von Rumänien mit der EU ausgehandelten Moratorien für Landverkäufe haben in den vergangenen Jahren nicht viel gebracht. Europäische Unternehmen und Investmentfonds fanden schnell Schlupflöcher, um Land in den neuen Mitgliedsstaaten zu kaufen oder zu pachten, angeheizt durch die Verfügbarkeit von Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Hinzu kommt aber auch das grosse Missverhältnis der Landpreise zwischen west- und osteuropäischen Ländern. In Rumänien liegt der Durchschnittspreis für 1 Hektar Agrarland bei 5600 Euro, in Bulgarien bei 2000 Euro. In den Nachbarländern der EU ist das Land sogar noch billiger: nicht einmal 500 Euro/Hektar in Moldawien, und sogar nur 12 in der Ukraine. Ein Schnäppchen, oder?

Für uns, die Bäuerinnen und Bauern, ist das nicht mehr nur Landkonzentration. Es ist Landgrabbing (1), bei dem Geld die Waffe ist, durch die grosses – von Banken und anderen Finanzinstitutionen verwaltetes – Kapital auf Kosten von Kleinbäuer·innen, der Ernährungssouveränität, kollektiver Landbewirtschaftung und Menschenrechten, die Kontrolle über grössere Mengen an Land erlangt, als es für die Gegend üblich ist.

Es ist auch erwähnenswert, dass die durchschnittliche Grösse eines bäuerlichen Betriebes in Rumänien 2 Hektar beträgt; die meisten davon aufgeteilt in mehrere Produktionsparzellen. Wir produzieren darauf Lebensmittel. Agroindustrielle Unternehmen, die auf Zehntausenden von Hektaren in unserer Nähe „cash crops“ (2) produzieren, betrachten wir nicht als gute Nachbar·inne·n – und diejenigen, die mit unserem Land spekulieren, sind nichts anderes als Landräuber·innen.

Herausforderungen und Lösungen

In unserem Kampf um Land in Rumänien und Osteuropa fordern wir die EU und die rumänischen Behörden ständig auf, die Probleme der Landkonzentration und des Landgrabbings zu erkennen und eine Politik zu schaffen, die diese Entwicklungen stoppt und umkehrt. Wir fordern auch mehr Transparenz bei grossflächigen Übernahmen von landwirtschaftlichen Flächen. In den letzten Jahren haben wir bei „Eco Ruralis“ (3) hart daran gearbeitet, diese Unternehmen und ihre schädlichen Praktiken zu identifizieren und zu kartieren. Wir geben diesen Firmen Namen und Gesichter und informieren die bäuerlichen Gemeinschaften über die Bedrohungen, die sie darstellen.

Betrachtet man die Verteilung der Einkommens- und Vermögensunterschiede („Gini“-Koeffizient) durch das Prisma der Armut und des Landbesitzes, kann man eine gut definierte Überlagerung zwischen akuter Armut und grossem Landbesitz beobachten. Zu Beginn der 2010er Jahre erreichte die Armuts- und Ausgrenzungsrate in Rumänien 42 Prozent der Bevölkerung – Tendenz steigend – (der EU-Durchschnitt liegt bei 25 Prozent), womit Rumänien zu den ärmsten Ländern in der EU gehört. Statistiken zeigen auch, dass die ärmsten Regionen Rumäniens der Nordosten, der Südosten und der Südwesten sind: als benachteiligt deklarierte Gebiete, betroffen von starken landwirtschaftlichen Landkonsolidierungen und von Landgrabbing.

Die Intensivierung der Landkonzentration und des Landraubs hat grosse Auswirkungen auf die rumänische Landschaft. Unsere ländlichen Räume werden entvölkert, da die Bäuer·innen entweder aus Altersgründen sterben oder aus der Landwirtschaft verdrängt werden und in die Städte oder in andere Länder abwandern. Eine historische Verbindung zum Land geht verloren. So verlieren wir unsere Kultur, Traditionen und unser agrarökologisches Wissen. Auch die Entwicklung einer neuen Generation von Landwirtschaftstreibenden wird blockiert, da junge Menschen immer weniger Zugang zu Land haben. Vor allem durch den kommerziellen Druck, den Grossinvestor·inn·en auf das Land ausüben, geht unsere letzte Bastion der Lebensfähigkeit verloren: die Allmend.

Gemeinsames Weideland

Die gemeinsame Beweidung ist in Rumänien, so wie in weiten Teilen Europas, eine historische Tradition. Im Gegensatz zu weiten Teilen Westeuropas und trotz mehrerer Änderungen der Landbesitzverhältnisse in den letzten Jahrzehnten, spielt diese Form der Landnutzung in Rumänien jedoch immer noch eine wichtige Rolle. Gemeinsames Weideland kann hier im Besitz von öffentlichen Einrichtungen, privaten Organisationen oder Einzelpersonen sein, ist aber durch Mehrfachweiderechte gekennzeichnet. Obwohl keine exakten Zahlen über die Verteilung von Gemeindeweiden verfügbar sind, lässt eine grobe Annäherung auf der Grundlage der Menge an landwirtschaftlichen Flächen in öffentlichem Besitz im Land (1,87 Mio. ha im Jahr 2007) darauf schliessen, dass mehr als die Hälfte der 3,4 Mio. Hektar Dauergrünland in Rumänien als Gemeindeland betrachtet werden kann.

Obwohl ihre Bedeutung natürlich variiert, gibt es in der überwiegenden Mehrheit der ländlichen Siedlungen noch mindestens eine Weide, die von den Bewohner·inne·n gemeinsam genutzt wird. Die Nutzung dieser gemeinsamen Weiden ist stark mit dem Fortbestehen der autarken kleinbäuerlichen und agrarökologischen Landwirtschaft verbunden, die sowohl flächenmässig als auch von der Anzahl der beteiligten Landwirt·inn·en her immer noch die wichtigste Form der Landwirtschaft in Rumänien darstellt. Für Bauernfamilien ist die Möglichkeit der Viehhaltung und damit Wohlstand und Marktorientierung als Kleinbäuer·innen vom Zugang zu Gemeinschaftsweiden als Ergänzung zum eigenen Land abhängig. Gemeindeweiden stellen daher eine wichtige wirtschaftliche Ressource für Kleinbäuer·innen dar, insbesondere für junge agroökologische Nahrungsmittelproduzent·inn·en, und sie sind eine Quelle nicht-ökonomischer Vorteile für die Gemeinschaft. Die riesigen Flächen gemeinsamen Weidelands sollen von den lokalen Behörden an die meistbietenden Unternehmen verpachtet werden, von denen viele aus wohlhabenden westeuropäischen Ländern wie der Schweiz, Deutschland oder Grossbritannien aus investieren. Die örtlichen Junglandwirt·innen haben nicht die finanziellen Möglichkeiten, um auf diesem Landmarkt zu konkurrieren. Dabei zeigt auch eine EU-Studie über deren Bedürfnisse, dass diesen jungen Menschen Zugang zu Land das Allerwichtigste ist – besonders in den neuen Mitgliedsstaaten.

Zerstörung des agrarökologischen Systems

Es ist höchste Zeit, dass die europäischen Behörden alle Politikbereiche daraufhin untersuchen, ob sie die Konzentration von landwirtschaftlichen Flächen in der EU fördern oder ihr entgegenwirken. Sie müssen einen umfassenden Prozess zur Bewertung des aktuellen Stands der Verwaltung von Land im Lichte der „FAO-Tenure-Guidelines“ starten, welche die EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert haben.(4)

Die Landkonzentration wirkt sich auch stark auf unsere Umwelt aus. Mit dem Verschwinden der bäuerlichen Landwirtschaft wird auch ein einzigartiges agrarökologisches System der Landbewirtschaftung bedroht. Bäuer·innen und Viehzüchter·innen in Osteuropa produzieren Nahrungsmittel und schonen dabei die natürlichen Ressourcen anstatt sie zu erschöpfen. Durch die Einführung einer agroindustriellen Agenda, die auch durch die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik stark subventioniert wird, werden Böden erodiert, geht Biodiversität verloren und Gewässer werden durch den starken Einsatz chemischer Düngemittel und Pestizide verseucht. Wir haben das Gefühl, dass die Kleinbauern und -bäuerinnen unserer Region derzeit als ein Problem angesehen werden, das man ausmerzen und loswerden müsse, anstatt sie als feste Bausteine zu begreifen, auf denen unsere Gesellschaft ihre Zukunft aufbauen kann.

Die kleinen landwirtschaftlichen Familienbetriebe sind unsere grösste Stärke, nicht eine Belastung unserer Länder. Ein Land kann ein Land der Bäuer·inne·n sein und gleichzeitig ein moderner europäischer Staat. Der Unterschied ist, dass die Politik darauf ausgerichtet sein muss, die Bäuer·inne·n zur Basis einer starken Versorgungskette in einer lebendigen ländlichen Wirtschaft zu machen. Politiken, die darauf abzielen, die Bäuer·innen vom Land zu vertreiben und insgesamt an den Rand zu drängen, müssen durch eine Politik ersetzt werden, die sie in den Mittelpunkt des Geschehens stellt. Wir brauchen auch eine Sensibilisierung der europäischen Behörden und die Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung der Korruption im Zusammenhang mit Landtransaktionen.

Wissen oder kümmern sich multinationale Banken und millionenschwere Investmentfonds um die Auswirkungen ihrer Geschäfte auf die Böden, wenn sie mit billigem osteuropäischem Land spekulieren? Wissen sie, dass ihre Landhändler·innen lokale Behörden bestechen, um als Immobilienmakler·innen zu agieren? Dass Bäuer·inne·n eingeschüchtert und gezwungen werden, den Verkauf ihres Landes an diese Banken zu unterschreiben? Alles im Namen von saftigen Renditen auf Landinvestitionen, von denen sie sagen, sie seien besser als eine Investition in Gold.

Leider erleben wir diese Realitäten immer öfter in unserem Land. Die Priorität muss verlagert werden. Bäuer·inne·n und vor allem jungen agrarökologischen Landwirt·inn·en muss der bevorzugte Zugang zu landwirtschaftlichen Flächen gewährt werden, insbesondere in unseren Zeiten des wachsenden Interesses von Nicht-Landwirt·inn·en am Erwerb von landwirtschaftlichen Flächen. Mein Grossvater pflegte zu sagen, dass unsere Familie im Laufe der Zeit durch viele Überschwemmungen gegangen sei. Effektiv leben wir in einer Region, die anfällig für Überschwemmungen ist. Doch seine Worte gelten auch in einer metaphorischen Weise: Obwohl unsere Ländereien von Investor·inn·en aller Art überschwemmt werden, die unser Land als Ware betrachten, mit der sie frei handeln können, haben wir – die ländliche Bevölkerung, die Bäuer·inne·n in Rumänien und Osteuropa – die nötige Vision, die Ressourcen und die Erfahrung. Und wir sind bereit, an einem fairen und inklusiven Prozess der Gestaltung unserer öffentlichen Politik in Bezug auf Land, Lebensmittel und Landwirtschaft teilzunehmen.

Szőcs-Boruss Miklos Attila, Landwirt und Präsident von Eco Ruralis

  1. Landgrabbing in Rumänien, Bericht der Fact Finding Mission, https://www.accesstoland.eu/IMG/pdf/land_grabbing_in_romania_report_eco_ruralis_2015_finalsmall.pdf
  2. Rumänische Vereinigung von Kleinbauern und –bäuerinnen, die nach traditionellen und ökologischen Kriterien arbeiten.
  3. Landwirtschaftliche Kulturen, die zu Verkaufs- oder Exportzwecken und somit zur Gewinnerzielung gepflanzt werden, im Unterschied zu Subsistenzkulturen
  4. Freiwillige Leitlinien für die verantwortungsvolle Verwaltung von Land-, Fischerei- und Waldbesitz im Kontext der nationalen Ernährungssicherheit