November 2014 in Rumänien - das waren heiße Wochen. Nur wenige konnten sich der aufgeladenen Stimmung entziehen, und noch weniger der Zuspitzung der Fragen nach Rumäniens Zukunft auf die zwei Pole Ponta oder Iohannis. Am Ende dann der unerwartete, deutliche Sieg des Siebenbürgers über den Bukarester. Er ist vielleicht ein Zeichen für den Bruch der rumänischen Gesellschaft mit der nationalistischen, orthodoxen und völkischen Logik.
Überall ist die Freude über den Wahlausgang zu spüren, zumin-dest in den einst österreichischen Landesteilen, die durchweg auch im ersten Wahlgang für den Kandidaten der Christlich-Liberalen Allianz gestimmt haben. Rot war die Wahlkarte in den einstigen Donaufürstentümern Moldau und Muntenien – obwohl diese Farbe genauso wenig zur rumänischen Sozialdemokratie passt wie überhaupt die vom Westen entlehnten Namen der wichtigsten Parteien.
Was ist denn bei dieser Wahl passiert? In westlichen Medien schien es, als habe sich ein ganzes Land zu Wahlkämpfern der Europäischen Volkspartei deklariert. Weit gefehlt. Ob die Geschäftsführerin eines mittelständischen Betriebes, ein Reiseunternehmer, Akti-vist_innen der Save Rosia Montana!-Kampagne oder die vielen Blogger_innen: Niemand hat in messianischer Verklärtheit Iohannis gewählt. Vielmehr wurde gegen Ponta gestimmt und gegen die entweder völkisch, mafiotisch oder eben beides zugleich orientierte sozialdemokratische PSD. Es ging um mehr als den nur Augenblicke währenden Wahlakt. Die rumänischen Bürger_innen haben erstmals, so schrieb ein Blogger, ihr Recht «schwarmintelligent millionenfach zu multiplizieren» gewusst.
Bisher herrschte vor allem zu Wahlterminen eine verbreitete fatalistische Haltung: «Wir können doch eh’ nichts ändern.» Entsprechend gering fielen Wahlbeteiligungen aus, entsprechend billig waren Stimmen zu kaufen. Diesmal erreichte die Wahlbeteiligung rekordverdächtige Werte von fast 65%. Beeindruckend war vor allem die Mobilisierung unter den Auslands-rumän_innen. In Ermangelung eines elektronischen oder Briefwahlsystems nahmen viele lange Anfahrten zu den Botschaften oder Konsulaten auf sich. Auf Facebook kursierte die Aufnahme eines Flugtickets, mit dem angeblich eine junge Frau extra von Calgary nach Vancouver flog, um dort wählen zu können. Die Bilder von den schier endlosen Warteschlangen in Paris, München oder Turin schafften es auch in manche Nachrichtensendungen außerhalb Rumäniens.
Den sonst üblichen, mit Achselzucken hingenommenen Wahltourismus und Stimmenkauf erschwerte eine ganze Armada unabhängiger Wahlbeobachter_innen, die sich über soziale Netzwerke die nötigen Akkreditierungsunterlagen besorgten. Ein sonst in Zürich tätiger Mann beobachtete die Wahlen in einer kleinen Gemeinde am Olt; junge Bukarester_innen fuhren in die als unberührbar geltenden Gemeinden des Kreises Teleorman; in der Moldau erwischte ein Beobachter die Wahlkommission beim nachträglichen Durchstempeln übrig gebliebener Wahlzettel. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Ganz zu Recht wurden die Wahlbeobachter_innen zu den «anonymen Held_innen der Wahlen» erklärt.
Sozialdemokrat Ponta warb um Stimmen mit der Aussage, er sei Rumäne und orthodox – Iohannis hingegen sei eben Sachse und Protestant. Mit über einer Million Stimmen Unterschied hat die PSD ihr schlechtestes Ergebnis bei Präsidentschaftswahlen eingefahren. Und Rumänien hat nun einen Präsidenten aus gleich zwei Minderheiten vor sich. Was, bitteschön, bezüglich der Konfession viel heißt, weniger jedoch hinsichtlich der ethnischen Zugehörigkeit. Die Mechanismen völkischer Propaganda haben nicht gefruchtet.
Die eigentliche Gewinnerin ist die unabhängige Justiz Nachdem im Vorfeld der Wahlen enorme Korruptionsfälle um mehrstellige Millionenbeträge und um zehntausende Hektaren Wald bekannt wurden, ist die Entscheidung gegen die fest in der entsprechenden Sphäre verankerte PSD nur verständlich. Das täuscht auch niemanden darüber hinweg, das alle Parteien – einschließlich die von Iohannis geführte nationalliberale PNL – in diesem Sumpf stecken. Insofern ist die eigentliche Gewinnerin der Wahl kein Kandidat, nicht einmal die stark mediatisierte Antikorruptionsbehörde DNA - es ist die unabhängige Justiz. Und wem das zuviel ist, dem sei es ein Votum für klare Spielregeln. Mehr nicht, aber weniger auch nicht.
Es gibt also reichlich Gründe, sich angesichts der spezifisch rumänischen Zusammenhänge mit zu freuen. Gründe zum Nachdenken gibt es natürlich auch. Da ist einmal die Gefahr einer Banalisierung politischer und gesellschaftlicher Komplexe auf «gut gemachte Arbeit» (so der Slogan von Iohannis), die – laut einer Analyse von Christian Binder – «auf Angestellte zugeschnitten ist, nicht auf Staatsbürger». In der Öffentlichkeit dominiert im Fall von Iohannis das Bild einer urbanen, weißen Wähler_innenschaft aus der Mittelschicht. Genauer betrachtet, haben die besser Gebildeten den neuen Präsidenten gewählt; jene weniger leicht Manipulierbaren als die dörfliche verarmte Bevölkerung. Bedenklich ist die – weniger im transkulturell angehauchten Siebenbürgen und Banat verbreitete – Mythologisierung des «Deutschen» Iohannis. Sie hat ihre Wurzeln nicht nur in der historischen Germanophilie Rumäniens, sondern im Traum vom domnitorul strãin, dem alle Probleme lösenden fremden Herrscher. Dies ist die Projektion einer europäischen Vision, jedoch unter einem so gar nicht emanzipatorischen Vorzeichen.
Und dann ist da noch der halluzinierende Antikommunismus, als gäbe es da in Rumänien etwas zu bekämpfen. «Jos Ponta, jos comunismul – Nieder mit Ponta, nieder mit dem Kommunismus» muss bei näherer Betrachtung zumindest lächerlich wirken. Gerade die Regierung Ponta hat stets größte Wirtschaftsfreundlichkeit für sich reklamiert. Darüber hinaus lässt sich behaupten, dass zwar alle Parteien Rumäniens mit einer sozialdemokratischen Rhetorik aufwarten, in der Praxis aber allesamt nur neoliberale Spuren hinterlassen haben, die in Europa ihresgleichen suchen müssen. Was Klaus Iohannis hier tatsächlich an Neuem einzubringen hat, wird sich erst noch zeigen müssen. Dessen ist sich die breite Mehrheit bewusst.
Die kritische Masse ist hierzulande nun mal bei dem so genannten bürgerlichen Lager angesiedelt, da die Sozialdemokratie völlig desavouiert ist. Lagerdenken ist also fehl am Platz. Umbrüche sind möglich, wenn sich eine kritische Zivilgesellschaft emanzipiert. Diejenigen, die sich in Rumänien für gesellschaftliche Veränderung einsetzen, lassen sich ihre Stimme auch nicht nehmen, nachdem Iohannis auf seiner Facebookseite erklärte: «Wir haben gewonnen! Nun an die Arbeit!» Fast täglich erscheinen Briefe an den frisch Gewählten, die ihn auch an Missstände in den Reihen seiner Partei erinnern. Ein Blogger schließt seine Hinweise an den künftigen Präsidenten mit den Worten: «Wir haben Sie zum Präsidenten gemacht, wir werden Sie stürzen wenn... na, Sie wissen schon. Wir haben das jetzt gelernt.»