SAATGUT / INTERNATIONAL: Den Widerstand säen

von Jürgen Holzapfel, Longo maï, 08.11.2024, Veröffentlicht in Archipel 341

«Säe den Widerstand, Sème ta résistance!» Das klingt für die einen wie ein cooler Slogan, ein Mode-T-shirt, bunte Vielfalt von Tomaten oder Kürbissen − für andere wie ein letzter Akt der Hoffnung auf ein Weiterleben, auf eine Zukunft, auf etwas zu essen, auf ein Stückchen Autonomie, Selbstbestimmung mitten in Trümmern.

Diese drei Worte waren Anfang Oktober der Slogan einer internationalen dreitägigen Zusammenkunft von ungefähr 500 Bäuerinnen und Bauern in dem Luxusbadeort Antibes an der Côte’Azur, organisiert vom französischen Netzwerk für bäuerliches Saatgut (RSP – «Réseau des semences paysannes»). Auf der ganzen Welt bedeutet dieser Slogan das Recht, eigenes Saatgut zu erhalten und weiterzugeben, das Recht auf Nachbau der eigenen Ernte. Saatgutkonzerne unternehmen alles, um die Bäuerinnen und Bauern in die Abhängigkeit von deren industriellen Sorten zu zwingen und damit in die Abhängigkeit von Pestiziden und künstlicher Düngung. In vielen Ländern hat die grüne Revolution dafür gesorgt, dass alte einheimische Sorten vom Markt verschwunden sind und die Menschen gezwungen wurden, auf industrielles Saatgut zurückzugreifen; dadurch werden sie von teuren Spritzmitteln abhängig.

Ansar, die hauptsächlich im Irak tätig ist, hat aufgezeigt, wie die Abhängigkeit von Saatgutfirmen in Syrien und im Irak als Waffe gegen die Selbstversorgung der Bevölkerung eingesetzt wurde. In beiden Ländern wurde die nationale Genbank von alten einheimischen Sorten während der dortigen Kriege zerstört und damit auch der Zugriff der Produzent·innen auf ihre ursprünglichen Sorten und ihre ursprünglichen Ernährungsgewohnheiten. Seither haben nur noch diejenigen Zugang zu Saatgut, die der jeweiligen Regierung genehm sind.

Ieke von Longo maï hat aufgezeigt, dass viele der alten Sorten dieser Länder heute noch in den europäischen Genbanken vorhanden sind und dass es notwendig ist, diese Sorten wieder in die Länder zu den Bäuerinnen und Bauern zurück zu bringen. Mit grossem Beifall wurden die palästinensischen Freundinnen und Freunde aus dem Westjordanland begrüsst, die trotz der Ungewissheit, ihre Dörfer und Familien bei ihrer Rückkehr nach der Konferenz unversehrt wieder zu finden, die Reise gewagt hatten. Es war sehr wichtig für sie, die Isolation, die Israel um sie herum aufbaut, zu durchbrechen, um die ständige Bedrohung ihrer Dörfer durch die israelischen Siedler·innen und jetzt auch durch die israelische Armee zu schildern, deren Ziel es ist, die palästinensische Bevölkerung von ihrem Land zu vertreiben.

Flüchten oder bleiben?

Unsere Freund·innen aus dem Libanon von dem Projekt «Buzuruna Juzuruna» (Im Saatgut sind unsere Wurzeln) wurden in gewisser Weise zu den Hoffnungsträger·innen der Konferenz, da sie seit Jahren die Ideen der Agroökologie und der alten einheimischen Sorten im Nahen Osten unterrichten, vorführen und verbreiten. Sie haben Menschen aus dem Irak, aus Syrien, aus Palästina und Ägypten zusammengebracht und für eine Landwirtschaft der Selbstversorgung ausgebildet. Gleichzeitig haben sie ihnen den Zugang zu einigen ihrer alten Sorten ermöglicht. Ihr Projekt in der Bekaa-Ebene befindet sich inzwischen mitten im Kriegsgeschehen, und sie stehen vor der Frage, ob sie flüchten oder bleiben sollen. Wohin mit ihrer wertvollen Saatgutsammlung, um sie vor der Zerstörung in Sicherheit zu bringen? Die internationalen Organisationen rufen dazu auf, den Libanon zu verlassen, aber bisher ist die Anwesenheit vor Ort sehr wichtig, da «Buzuruna Juzuruna» mit der Ernte vom letzten Jahr zahlreiche Volksküchen, die für die Geflüchteten im Land entstanden sind, mit Mehl, Bohnen, Linsen und Gemüse versorgt. Wenn unsere Freund·innen jetzt weggehen, wie und wann werden sie ihr Projekt wieder aufnehmen können? Die syrischen Geflüchteten,− 800.000 haben bisher im Libanon Schutz gefunden, − werden aufgefordert, nach Syrien zurückzukehren. Sie werden dem Assad-Regime, vor dem sie geflohen sind, in die Hände getrieben. Hunderte Fragen stellen sich, und jede einzelne Familie muss eine Antwort finden.

Gegenseitiges Kennenlernen

Sich ausserhalb des Krieges treffen zu können, ist sehr wichtig, um Freundschaften zu knüpfen, sich gegenseitig kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen – unabhängig von der Kriegspropaganda der verschiedenen Seiten. Deshalb war es sehr hilfreich, dass sich die Konferenzteilnehmer·innen während drei Tagen vor der Konferenz auf Höfen der Mitglieder des gastgebenden französischen Netzwerkes RSP treffen konnten. Die Longo maï-Kooperativen in Südfrankreich haben in den drei Tagen die Delegationen aus dem Nahen Osten empfangen: aus dem Iran, dem Irak, dem Libanon, aus Ägypten, sowie Palästinenser·innen. Das gegenseitige Interesse und die Frage, wie sie sich in Zukunft gegenseitig unterstützen könnten, war so gross, dass sie gleich nach der Konferenz für mehrere Tage auf einer der Longo maï-Kooperativen zusammengekommen sind. Die Gespräche über selbstbestimmte Ernährung im Krieg und die Verständigung über Grenzen hinweg sind weit wichtiger als alle verbissenen Diskussionen über Schuld oder Unschuld, und wir konnten für einige direkt Betroffene den Raum für diesen Dialog schaffen. Gleichzeitig waren sie ständig am Telefon, um zu wissen, was in ihren Dörfern gerade passiert. Wir haben die Möglichkeit, ihnen wieder Zugang zu ihren Sorten zu geben, die nach europäischer kolonialer Manier in den europäischen Genbanken gelagert sind, und hoffen, dass diese Verbindungen noch lange leben und wir uns gegenseitig Mut machen und unterstützen können. Jürgen Holzapfel, Longo maï

TRAUER UM jOUSEF

Die folgende Nachricht haben wir am 26. Oktober von unserem ägyptischen Freund Philip Rizk erhalten, durch den wir mit dem Landwirt Jousef Abou Rabea und seiner Saatgut- und Gemüseproduktion, sowie deren Verteilung an die Bevölkerung im Norden Gazas bekannt gemacht wurden. Seither unterstützten wir dessen Arbeit*:

«Ich habe leider traurige Nachrichten, falls diese Euch noch nicht erreicht haben. Am Montag hat das israelische Militär den 24-jährigen Bauern Yousef Abou Rabea ermordet. Diese Nachricht ist leider keine Überraschung, da der israelische Staat seinen Plan für den Norden von Gaza angesagt hat: die Vernichtung von allem Leben dort, Menschen, Tiere, Pflanzen… Am Tag vor seinem Tod hat Youssef 400 Lebensmittelpakete mit Auberginen, Paprika und Zucchini verteilt, er hatte grosse Pläne für seine Heimat.»

Danke für Eure Unterstützung.

Liebe Grüsse , Philip

  • siehe Archipel Nr. 337, Juni 2024 «Saat der Hoffnung» von Laila El-Haddad