SCHWEIZ / MIGRATION: Solidaritätsdelikt im Jura

von Axl Van der Beke, Animator der Kooperative «Espace Noir» St. Imier, 16.03.2025, Veröffentlicht in Archipel 345

Wieder einmal kriminalisiert die Schweiz unseren Mut und unsere Menschlichkeit. Im Jura wird eine Person kriminalisiert, weil sie einen Geflüchteten bei sich aufgenommen hat.

Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) ist mit ihren verschiedenen fremdenfeindlichen Initiativen und rassistischen Desinformationskampagnen über die Grenzen hinaus für ihre politische Agenda in Bezug auf Migration und Asyl bekannt. Indem sie ihren Diskurs in der Öffentlichkeit und in den Medien durchgesetzt hat, gelang es ihr in den letzten zwanzig Jahren, die Köpfe und Herzen eines Teils der Bevölkerung zu vergiften: durch Instrumentalisierung von Vorfällen, durch schädliche Berichte, Beleidigungen und Lügen über Migrant·innen sowie die schwarze und arabisch-muslimische Gemeinschaft hier oder anderswo. Aber der rechtsextremen Schweiz – und das ist noch gefährlicher – ist es in den letzten Jahren gelungen, ihren Diskurs in mehrere von unseren Gesetzen zu übertragen. Der Artikel 116 des AIG (Ausländer- und Integrationsgesetz), der gemeinhin als «Solidaritätsvergehen» bezeichnet wird, ist eines von vielen Ergebnissen. Angst und Unsicherheit Zahlreiche Geflüchtete und Migrant·innen unternehmen keine oder noch keine administrativen Schritte zur Niederlassung in der Schweiz, insbesondere aus Angst vor einem schwierigen Verfahren oder einer Zwangsausweisung. Und es gibt Grund zur Angst: Das Asylverfahren in der Schweiz ist missbräuchlich und drängt schutz- und stabilitätssuchende Menschen systematisch nach draussen. Wir erinnern uns daran, dass das «Staatssekretariat für Migration» (SEM) stolz einen Anstieg von 20 Prozent mehr Menschen verkündet hat, die im Jahr 2023 (im Vergleich zu 2022) von einer Rückführungsentscheidung betroffen waren. Insgesamt wurden 5742 Personen zurückgeschickt, davon 3714 unter Zwang.1 Um eine weitere aussagekräftige Zahl zu nennen: Nur 34,2 Prozent der Antragsteller·innen erhielten im Jahr 2024 Asyl.2 Das liegt auch an der Art der Anhörungen: Das Drama lässt sich anhand des Films «L'Audition» (die Anhörung) von Lisa Gerig aus dem Jahr 2023 nachvollziehen, der die Anhörung von vier abgelehnten Asylbewerber·innen in der Schweiz nachstellt. Dank dieses Films verstehen wir besser, warum Geflüchtete Angst haben und es ablehnen, sich auf diese diskriminierenden Verfahren einzulassen. Post vom Staatsanwalt Trotz aller Schwierigkeiten entscheiden sich Menschen dafür, Migrant·innen und Geflüchteten zu helfen, insbesondere indem sie diese bei der Wohnungssuche unterstützen oder sie bei sich aufnehmen. Und hier kommt Artikel 116 des AIG ins Spiel: mit der Androhung eines Strafbefehls, der im besten Fall zu einer Geldstrafe führt, im schlimmsten Fall aber zu einer Gefängnisstrafe. Genau das passiert einer unserer Freundinnen: Caroline Meijers. Caroline Meijers engagiert sich seit vielen Jahren für Migrant·innen. Im Jahr 2001 gründete sie mit Freund·innen die MJSSP – «Mouvement Jurassien de Soutien aux Sans-papiers»3. Diese Initiative wird im Kanton Jura durch ihre zahlreichen Aktionen und Stellungnahmen, die Organisation von Konferenzen, Weihnachtsfeiern, Beiträge in den Medien und durch direkte Unterstützung von Menschen ohne Papiere, bekannt. Am 31. Januar 2025 erhält Caroline einen Brief von der kantonalen Staatsanwaltschaft: Diese ist der Ansicht, dass «die gegen Meijers Braun Caroline wegen Verstosses gegen das Gesetz über die illegale Einreise und den illegalen Aufenthalt, wegen Erleichterung der illegalen Einreise, des illegalen Aufenthalts oder der illegalen Ausreise von Jacob X. (Pseudonym) eingeleitete strafrechtliche Untersuchung abgeschlossen ist». Die Staatsanwaltschaft teilt mit, dass sie beabsichtigt, die Untersuchung in Kürze durch den Erlass eines Strafbefehls zu beenden. Tatsächlich hatte Caroline einen bedürftigen, geflüchteten Menschen aufgenommen. Im April 2024 tauchte die Polizei mit einem Durchsuchungsbefehl bei ihr auf. Caroline gab an, dass sie Jacob X aufgenommen hat und dass sie dies tue, um ihm zu helfen, einen Asylantrag in der Schweiz zu stellen. Die Polizei erklärte ihr, sie verstosse gegen das Asylgesetz. Nach Erhalt des Schreibens der Staatsanwaltschaft hat Caroline beschlossen, ihren Prozess politisch und öffentlich zu machen, um die Schweizer Asylpolitik anzuprangern. Ungehorsam ist notwendig! Dieses Gesetz kriminalisiert die Hilfe für Geflüchtete. Aber es führt noch weiter: Das Gesetz grenzt an die unterlassene Hilfeleistung für eine gefährdete Person und bedroht die Menschlichkeit in uns. Es will uns dazu zwingen, nichts zu tun, wenn wir vor einem Menschen in Not stehen. Es lädt dazu ein, sich immer mehr zurückzuziehen und andere definitiv als potenzielle Bedrohung zu sehen. Was könnte besser sein, um Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in der Schweiz zu schüren? Ein gefundenes Fressen für die extreme Rechte – eine Schande für die Schweiz. Zum Glück gibt es immer noch Ungehorsam, auch wenn das Parlament im Jahr 2020 die Einführung einer Ausnahmeregelung für «ehrenwerte Gründe» in dieses Gesetz abgelehnt hat. Wir können stolz sein auf die Menschen und Gruppen, die sich aktiv gegen das derzeitige Migrationsregime in der Schweiz einsetzen. Die Liste ist lang, aber wir können insbesondere «Solidarité sans frontières» erwähnen, die Informationsbulletins über die Aktualität und die Kämpfe rund um dieses Thema veröffentlicht, Konferenzen und Aktionen organisiert und an nationalen und internationalen Kampagnen teilnimmt. Vergessen wir nicht, ihnen unsere Solidarität zu zeigen. Und all unsere Unterstützung für Caroline! Axl Van der Beke, Animator der Kooperative «Espace Noir» in St. Imier (Schweizer Jura)

  1. www.asile.ch/2024/03/25/expulsions-une-bien-triste-performance/

  2. www.admin.ch/gov/fr/accueil/documentation/communiques.msg-id-104162.html

  3. Bewegung zur Unterstützung von Papierlosen im Jura