Solidarität mit Pinar Selek

von Koordination der Solidaritäts- kollektive* mit Pinar Selek, 01.05.2019, Veröffentlicht in Archipel 281

Angesichts der drohenden Gefahr einer lebenslangen Freiheitsstrafe wächst die Solidarität mit der türkisch-französischen Schriftstellerin Pinar Selek. Im März 2019 versammelten sich die französischen Solidaritätskollektive in Lyon zu einem Koordinationstreffen. Am Schluss wurde folgende Presseerklärung redigiert.

Die Koordination der Solidaritätskollektive mit Pinar Selek, die sich am 27. August 2017 gebildet hat, versammelte sich am 23. und 24. März 2019 in Lyon. Sie möchte daran erinnern, dass die politische und gerichtliche Verfolgung der türkisch-französischen Schriftstellerin und Soziologin Pinar Selek seit 21 Jahren bestehen bleibt – trotz vier Freisprüchen! Der Staatsanwalt hat erneut eine lebenslange Freiheitsstrafe beantragt und der Oberste Gerichtshof der Türkei kann jeder-zeit über ihr Schicksal entscheiden. Ein solcher Prozess würde unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Anwesenheit von Anwält·inn·en durchgeführt. Zusätzlich zu den direkten Folgen auf Pinar Selek hätte eine Verurteilung auch schwerwiegende Auswirkungen auf ihre Familie und ihr nahestehende Personen, die in der Türkei geblieben sind. Das Vorgehen verstösst gegen internationale juristische Normen und die Europäische Charta der Menschenrechte, obwohl die Türkei Mitglied des Europarates ist. Diese Tatsache ist ein wesentlicher Angelpunkt für das Engagement der Solidaritätskollektive. Die Koordination analysierte die sich verschlechternde politische, soziale und wirtschaftliche Lage in der Türkei: Veränderungen bei den internationalen Allianzen (mit Iran, Russland, Syrien, den europäischen Ländern und den USA) und in der Innenpolitik (nach dem Putschversuch der Gülen-Anhänger), Massenentlassungen von Beamt·inn·en, Abwertung der Währung und steigende Arbeitslosigkeit. Die einzigen Elemente für eine politische Stabilität des türkischen Staates scheinen die dauernden Verhaftungen, Gerichtsprozesse und andere Unterdrückungsmassnahmen zu sein. Anlässlich des Treffens in Lyon betonte Pinar Selek, die unter ihren Freund·inn·en und Unter-stützer·inne·n anwesend war, dass der türkische Staat heute den Nationalismus durch eine Instrumentalisierung der Religion noch verstärkt. Sie prangerte den Mangel an Demokratie und die politische Unterdrückung in der Türkei an, die jede Möglichkeit einer nationalen Aussöhnung zwischen Kurd·inn·en, Armenier·inne·n und Türk·inn·en gefährden. Sie betonte auch den dramatischen Charakter der Wirtschaftskrise, der zu einem Anstieg der sozialen Ungleichheit und zu steigender Armut führt. Sie stellte ferner den explosionsartigen Anstieg von Machtmissbrauch in vielen Staaten der Welt fest – auch in Europa. Die Koordination verurteilt die Schwäche der europäischen Politik, die sich auf wirtschaftlicher und politischer Ebene von der türkischen Regierung erpressen lässt. (…) Sie fordert Europa und die französische Regierung dazu auf, die willkürlichen Inhaftierungen von Journalist·inn·en, Beamt·inn·en, Künstler·inne·n, Schriftsteller·inne·n, Akademi-ker·inne·n, Lehrer·inne·n, Akti-vist·inn·en, Gewerkschafter·inne·n und humanitär engagierten Menschen ausdrücklich zu verurteilen. Die Koordination ruft alle Bürger·innen dazu auf, sich zu mobilisieren, um die europäischen Regierungen in die Pflicht zu nehmen und durch eine breite Solidarität den endgültigen Freispruch von Pinar Selek zu erwirken.

Koordination der Solidaritäts- kollektive* mit Pinar Selek

Nachtrag zur Pressemitteilung Während sich die Koordination in Lyon traf, wurde Geneviève Legay, eine der Aktivistinnen des Kollektivs von Nizza und Sprecherin von ATTAC, während einer Demonstration der Gilets jaunes (Gelbwesten) von der Polizei angerempelt und zu Fall gebracht. Ihr Sturz verursachte unter anderem eine Kopfverletzung. Die Koordination der Solidaritätskollektive mit Pinar Selek prangert die Systematik der polizeilichen Gewalt an, die all diejenigen trifft, die sich der Politik von Emmanuel Macron und seiner Regierung widersetzen.

  • Solidaritätskollektive gibt es bereits in: Bordeaux – Breil-sur-Roya – Brest – Forcalquier – Genf – Lyon – Marseille – Montpellier – Nizza – Paris – Pau – Pays Basque – Périgueux – Strassburg – Toulouse Um mehr über Pinar Selek zu erfahren: http://pinarselek.fr/ Um uns zu kontaktieren: pinarselekcoord@lists.riseup.net & comitepinarseleklyon@free.fr Die Koordination und ihre Aktionen Die Koordination von Solidaritätskollektiven mit Pinar Selek setzt sich aus 15 Kollektiven zusammen, die zahlreiche Veranstaltungen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit organisieren: Konferenzen, Meetings und verschiedene Aktionen zur Situation der Schriftstellerin, zur politischen, sozialen und wirtschaftlichen Lage und vor allem über jegliche Formen von Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. Pinar Selek ist international bekannt und wird von Menschen aus unterschiedlichen Milieus unterstützt. Die Schriftstellerin und Soziologin setzt sich vehement für die Verteidigung der Menschenrechte ein und ist mit vielen feministischen, LGBT sowie antimilitaristischen Gruppen engagiert. Sie wird oft eingeladen, um ihre Bücher zu präsentieren und bei Konferenzen das Wort zu ergreifen. In Frankreich ist eine Bewegung von solidarischen Buchhandlungen für Pinar Selek entstanden, die eine Solidaritätserklärung unterzeichnet haben und ihre Bücher sowie Informationen zu ihrem drohenden Prozess auslegen. Wir suchen Buchhandlungen im deutschsprachigen Raum, die sich an dieser Aktion beteiligen möchten. Mehr Informationen bei: ch@forumcivique.org