UKRAINE : Eine vielseitige Initiative wird 20!

von Nataliya Kabatsiy, Direktorin CAMZ, 01.05.2019, Veröffentlicht in Archipel 289

Am 21. März 2020 organisiert das CAMZ, Komitee der medizinischen Hilfe in Transkarpatien, zu seinem 20-jährigen Bestehen einen festlichen Anlass in Uschgorod/ Ukraine. Wir haben unsere Partnerorganisation gebeten, ihre langjährige Arbeit vorzustellen. Normalerweise erinnerten wir uns immer erst eine Woche später an unseren Geburtstag, doch seit wir auf Facebook sind, geht das nicht mehr. Das Medium weist uns unerbittlich auf das genaue Datum hin. Wir dachten, in Anbetracht der langen Zeit, in der wir jetzt als Verein existieren, dass jetzt der Moment für ein Treffen wäre, um all die Menschen zusammen zu bringen, die uns aus dem einen oder anderen Bereich unserer Aktivitäten kennen, sich aber viel-leicht noch nie getroffen haben. Denn es gibt diejenigen, die uns über die Arbeit mit behinderten jungen Erwachsenen kennen, andere über die Aktivitäten mit Geflüchteten sowie Migrant·inn·en und wieder andere über das Dokumentarfilmfestival der Menschenrechte oder verschiedene Veranstaltungen an der Universität. Jetzt, da ich diesen Artikel schreiben und über unsere 20-jährige Geschichte berichten soll, erscheint es mir ein Ding der Unmöglichkeit, in einem kurzen Text alle unserer grossen und kleinen Projekte auch nur aufzuzählen. Trotzdem will ich versuchen, ein paar Stimmungen und Schwerpunkte herauszuarbeiten.

Ein Büro voller Leben

Also, wer sind wir? Das CAMZ besteht aus sieben Frauen und einem Kreis von ehrenamtlichen Freundinnen und Freunden. Unser Büro liegt in der Distrikt-Hauptstadt Uschgorod, aber wir arbeiten in ganz Transkarpatien, einer Region im westlichsten Zipfel der Ukraine. Wir sind ein Team von Freundinnen, die viele verschiedene Dinge können, wie zum Beispiel: Bauarbeiten organisieren und verwalten, Möbel montieren sowie Konferenzen und Seminare veranstalten; wir wissen mit geistig und körperlich behinderten Menschen umzugehen und reden im Büro fünf Sprachen. Nachmittags kommen manchmal bis zu sechs von unseren Kindern vorbei, die entweder essen wollen und danach ihre Hausaufgaben machen oder warten, bis sie zu ihren Kursen in Musik, Sprachen, Schwimmen oder Tennis aufbrechen. Ganz zu schweigen von all den Treffen, juristischen Beratungen und festlichen Momenten, die hier stattfinden. Unser Büro hat sehr viele verschiedene Menschen gesehen. In der Zeit als eine Fluchtroute in Richtung Westeuropa durch Transkarpatien führte, wurde unser Ort zu einem Internet-Café für Geflüchtete, die hierher kamen, um ihre E-Mails abzurufen, Kaffee zu trinken und um mit ihren Familien per Skype zu verkehren. Es war der Ort, an dem wir Zeugenaussagen über illegale Abschiebungen von der Slowakei und Ungarn (EU-Aussengrenze) in die Ukraine sammelten und wo Expert·in·en von Human Rights Watch für ihren Bericht über die Situation in der Ukraine Interviews zu genau diesem Thema führten. Unser Büro war ein Treffpunkt für HIV-positive Menschen, die mit unserer Unterstützung schliesslich ihren eigenen Verein The Network of Positive People gründen konnten. Es war auch ein Ort, an dem wir Geflüchteten aus der Ost-Ukraine (displaced persons) während der ersten beiden Jahre des Konflikts mit Russland weiter halfen. Heute ist es die NGO Donbas-Zakarpattia, die sich mit den Fragen der internen Flüchtlinge befasst. Hier bei uns empfingen wir auch Botschafter·innen, Journalist·in-n·en und Projektpartner·innen. In den zwanzig Jahren seines Bestehens hat das CAMZ viele verschiedene Zeitabschnitte durchlebt, angefangen von der Krise nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion über zwei Revolutionen1 hinweg bis zu einem Krieg, der nun seit sechs Jahren unser Land zerreisst.

Ein Schirm für Schutzlose

Wir hatten immer Glück, Partner·innen für die Verwirklichung unserer Ideen und die Entwicklung unserer Projekte zu finden. Diese Projekte sind zwar formalisiert, um effizient zu sein, basieren aber auf menschlichen und solidarischen Beziehungen. Dies ist nicht so selbstverständlich, denn die Initiativen in der Ukraine sind sonst sehr starken Schwankungen ausgesetzt, je nachdem, von wem, wie und wie lange sie finanziert werden. Ein Projekt, das uns sehr am Herzen liegt, heisst Parasolka (Regenschirm) und arbeitet mit behinderten Menschen. Wir betreuen es seit 20 Jahren und seine Entstehung ist praktisch einem Zufall zu verdanken. Das Netzwerk Schweiz-Transkarpatien/Ukraine (NeSTU)2 organisiert in unserer Region regelmässig Kurse für Schweizer Laien- und Berufssänger·innen mit Cantus, einem Kammerchor aus Uschgorod. Von Zeit zu Zeit dolmetschte ich für die Kursteilnehmenden und wurde schliesslich eingeladen, um über die Initiativen des CAMZ zu berichten. Aufgrund des Interesses der Kursteilnehmer·in-nen an unserer Arbeit im Vilshany-Waisenhaus für behinderte Kinder (einer Art Ghetto, das in den Karpaten versteckt ist – ein Erbe der «gesunden» Gesellschaft der Sowjetunion) besuchten wir gemeinsam diese Einrichtung. Dort hatten wir Gelegenheit, unsere Aktivitäten zu zeigen, aber auch neue Ideen diskutieren. Aus diesem einfachen Besuch entstand dann das gemeinsame Projekt Parasolka, getragen vom CAMZ, unterstützt von NeSTU und dem eigens dafür gegründeten Schweizer Verein Parasolka: ein Zentrum für die Betreuung behinderter junger Erwachsener aus dem Waisenhaus von Vilshany, die nach dem ukrainischen System ab ihrer Volljährigkeit in eine psychiatrische Klinik für 300 Patient·inn·en hätten verlegt werden sollen, aus dem erfahrungs-gemäss niemand mehr heraus kommt. Dieses Parasolka-Zent-rum, das wir in der Stadt Tjatschiw geschaffen haben (absichtlich in der Stadt, um die etwas anderen Menschen nicht zu verstecken), ist ein Musterprojekt für die gesamte Ukraine. Heute bietet diese Struktur für 25 Personen die Möglichkeit, in Würde zu leben, zu arbeiten und sich zu entwickeln; dazu kommen behinderte Menschen von Familien aus der Umgebung, die an den Aktivitäten untertags teilnehmen.

Abwägung von Risiken

Die Zivilgesellschaft in der Ukraine ist noch sehr jung, und wenn eine Initiative, selbst mit einem grossen Bekanntheitsgrad, hochrangige Interessen tangiert, muss sie sehr vorsichtig sein und das Risiko gut einschätzen, das sie eingehen will. Zum Beispiel bei unserer Arbeit mit Geflüchteten und Migrant·inn·en müssen wir oft den Staat kritisieren, dazu dient uns als Sprachrohr das Netzwerk Border Monitoring Project Ukraine. Die «Fragen» des Geheimdienstes, der Grenzschutzbeamten und des Migrationsamtes (Innenministerium) gehen dann an diese Adresse. Das CAMZ positioniert sich hingegen als eine NGO, die sich ausschliesslich mit der medizinischen und sozialen Versorgung der Geflüchteten und Migrant·in-n·en befasst, inzwischen auch mit juristischer Beratung, dank der Unterstützung des Europäischen BürgerInnenforums. Wir investieren auch viel Energie in die Arbeit mit den Medien, damit keine Artikel mehr erscheinen über «Truppen von Illegalen, die uns Tropenkrankheiten bringen oder uns die Arbeitsplätze wegnehmen», sondern vielmehr solche, die auf menschliche Art über die Wurzeln des Migrationsphänomens berichten. Der Schweizer Menschenrechtspreis «Offene Alpen», der uns von Dick Marty, dem ehemaligen Tessiner Staatsanwalt, im Jahr 2012 auf Initiative des «Freundeskreises Cornelius Koch» verliehen wurde, hat unserer Arbeit internationalen Schutz verschafft, aber da in der Ukraine die Präsidenten und Regierungen oft wechseln, müssen wir leider von Zeit zu Zeit wieder bei Null anfangen. Als Beweis dient der Beginn der Umweltbewegung Free Svydovets, die sich gegen den geplanten Bau einer Mega-Skistation von einem Oligarchen auf dem Svydovets-Bergmassiv wehrt und sich für den Erhalt der Natur in den Karpaten einsetzt. Da in unserem Büro erste Treffen der Aktivist·inn·en stattfanden, halfen wir mit Übersetzungen und anderen kleinen Dienstleistungen. Aber als es darum ging, zur Unterstützung der Bewegung einen Brief im Namen des CAMZ an den Präsidenten der Ukraine zu unterzeichnen, mussten wir als Organisation passen. Wir unterschrieben als Privatpersonen und Mitglieder des Europäischen BürgerInnenforums, weil die lokalen Behörden voll und ganz das Skitourismus-Projekt auf dem Svydovets unterstützten. Denn wir hatten gleichzeitig laufende Projekte in Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen und dem Amt für Sozialarbeit in der Region und wollten diesselben nicht gefährden. Abschliessend möchte ich sagen, dass das CAMZ sowie andere NGOs und Bewegungen in der Ukraine weiterhin internationale Unterstützung brauchen – nicht nur finanzieller Art, sondern auch, um gehört zu werden und als Schutz. Die Ukraine ist recht stark auf ihren internationalen Ruf bedacht, bis zu dem Punkt, wo enorme finanzielle Interessen, oft von einzelnen «wichtigen» Personen, überwiegen. Aber wie wir uns immer sagen: Wir werden es schaffen!

  1. Orange Revolution: November 2004 bis Januar 2005 und Euromaidan: vom 21. November 2013 bis 26. Februar 2014
  2. www.nestu.org

  3. Geburtstag von CAMZ in Uschgorod, Ukraine Liebe Freundinnen und Freunde, Das Jahr 2020 ist für unsere Organisation – Komitee der medizinischen Hilfe in Transkarpatien (CAMZ) – ein Jubiläumsjahr: Wir feiern unseren 20. Geburtstag und laden Sie ein, mit uns dieses Jubiläum zu feiern!!! Zu diesem Anlass organisieren wir in Uschgorod eine feierliche Veranstaltung mit Treffen von unseren Partner·inne·n, Freund·inn·en und Kolleg·inn·en – eine Veranstaltung mit Austausch, Diskussionen und gemütlichem Beisammensein. Für Interessierte bieten wir Besichtigungen unserer Projekte an, (vor allem das Wohnheim Parasolka und das Kinderheim Vilshany), und wir können kleine touristische Ausflüge um Uschgorod herum organisieren.

Provisorisches Programm

  1. März, Donnerstag: Besuche im Wohnheim Parasolka und Kinderheim Vilshany
  2. März, Freitag: Führungen in Uschgorod und Umgebung
  3. März, Samstag: Feierliche Veranstaltung zum 20. Geburtstag von CAMZ Das CAMZ kümmert sich nicht um die Organisation der Reise, kann aber gerne bei Bedarf die Unterkunft buchen und Begleitung vor Ort organisieren. Wir bitten Sie, sich bis zum 25. Februar 2020 anzumelden. Mit freundlichen Grüssen, das CAMZ-Team

Für Anmeldung und Fragen: Kontaktperson: Lesja Levko, E-Mail: camzua@gmail.com, Mobil /WhatsApp:+380506908020