USA: Ein langer Weg nach Hause

von Veronica Tarozzi, freie Journalistin, Italien, 10.04.2025, Veröffentlicht in Archipel 346

Nach fast 50 Jahren willkürlicher Inhaftierung in den USA konnte der indianische Aktivist Leonard Peltier am 18. Februar 2025 endlich nach Hause zurückkehren. Er wurde in seiner Heimat, dem «Turtle Mountain Reservat» in North Dakota, triumphierend empfangen.

«Wie lange war ich weg, eine Woche? Ich kann immer noch nicht glauben, dass es wahr ist!» sagte Peltier dem Reporter von «Associated Press» vor dem Haus, das seine Gemeinschaft für ihn gekauft und eingerichtet hatte. Nach einem jahrzehntelangen Kampf für Gerechtigkeit beginnt der Aktivist des «American Indian Movement» (AIM) ein neues Kapitel in seinem späten Leben. Die Nachricht von seiner Freilassung kam für alle überraschend am 20. Januar – in den letzten 14 Minuten der Präsidentschaft von Joe Biden: eine unerwartete Geste von grosser politischer und symbolischer Bedeutung nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten und der letzten Ablehnung einer bedingten Haftentlassung im Juli des vergangenen Jahres. Bei seiner Verurteilung war Peltier etwas älter als dreissig Jahre alt; heute kann der Achtzigjährige, dessen Gesundheitszustand prekär ist, endlich zu Hause sein, umsorgt von seinen Nächsten. Mit fast 50 Jahren handelt es sich bei seinem Fall um eine der längsten willkürlichen Inhaftierungen in der Geschichte der USA.

Der Aktivist der amerikanischen Ureinwohner·innen war wegen des Mordes an zwei FBI-Agenten während einer Schiesserei im Jahr 1975 im «Pine Ridge Reservat» in South Dakota verurteilt worden. Der Schuldspruch war jedoch immer umstritten gewesen; es wurden Verfahrensfehler und das Fehlen konkreter Beweise festgestellt. 1975 war das «Pine-Ridge-Reservat» in South Dakota ein Pulverfass, das vom FBI im Rahmen eines grösseren staatlichen Plans angeheizt wurde. Ziel war es, das «American Indian Movement» (AIM) zu destabilisieren, eine Organisation, die für die Rechte der Ureinwohner·innen kämpfte – und immer noch kämpft. Leonard Peltier war einer der aktivsten Vertreter dieser Bewegung.

In diesem Zusammenhang kam es am 26. Juni 1975 zu jener Schiesserei zwischen FBI-Agenten und mehreren Ureinwohnern, bei der zwei Bundesagenten und ein Ureinwohner ums Leben kamen. Peltier wurde verhaftet und verurteilt, obwohl es keinerlei Beweise gab, die ihn mit den Morden hätten in Verbindung bringen können. Vielmehr tauchten im Laufe der Zeit Beweise für Prozessmanipulationen und Einschüchterung von Zeugen auf. So erwies sich, dass die Verurteilung Peltiers eindeutig politisch motiviert war.

Leonard Peltiers Leidensweg hat seine Wurzeln in den dunkelsten Kapiteln der amerikanischen Geschichte. Im Alter von neun Jahren wurde er von seinem Zuhause und aus der Obhut seiner Familie hinweg gerissen. 240 Kilometer entfernt, kam er zur «Umerziehung» in eine der berüchtigten Internatsschulen für «Indianer·innen». Dort wurden die Kinder gezwungen, sich der weissen amerikanischen Kultur anzupassen. Sie wurden schikaniert, geschlagen und missbraucht. Im Laufe der Jahre wurde Peltier zum Symbol für das ganze Unrecht, das den amerikanischen Ureinwohner·innen widerfahren ist. Gleichzeitig war er zum Sündenbock für ein System geworden, das indigene Gemeinschaften seit jeher unterdrückt hat. Während seiner langen Haftzeit hat Peltiers Anliegen breite internationale Unterstützung erhalten. Wichtige Menschenrechtsorganisationen, Stammesführer, Nobelpreisträger·innen, Päpste, mehrere Präsidenten (ausserhalb der USA) und Jurist·innen haben seine Freilassung gefordert. Zu den letzteren gehörte sogar der ehemalige Generalstaatsanwalt, der seinen Fall bearbeitet hatte, und der Gnade für Peltier forderte und sein Verfahren als «unfair» bezeichnete. Nachdem eine Begnadigung Peltiers von allen vorherigen US-Präsidenten abgelehnt worden war, wagte Biden in letzter Minute den Schritt, Peltiers Strafe umzuwandeln. So hat er ihm erlaubt, die letzten Jahre seines Lebens unter Hausarrest zu verbringen, umgeben von seiner Familie und seinen Liebsten. Die Umwandlung einer Strafe ist nicht gleichbedeutend mit einer Begnadigung, aber sie anerkennt, dass Peltier bereits eine ausreichende (!) Strafe verbüsst hat. Die Geste Bidens wurde als ein Mittelweg interpretiert, den Druck des FBI, der sich immer gegen die Freilassung von Peltier ausgesprochen hat, mit der Notwendigkeit auszugleichen, ein historisches Unrecht zu korrigieren.

Gefeierte Rückkehr

Eine 49-jährige «Reise» und eine grosse Feier zu seinen Ehren am 19. Februar: Die Rückkehr Peltiers, die einen Monat nach Bidens Erlass stattfand, war von grosser Emotionalität geprägt. Der Wagen, der ihn schliesslich nach Hause brachte, fuhr durch eine kilometerlange Menschenkette. Männer, Frauen und Kinder warteten in der Kälte entlang der verschneiten Strassen des «Turtle Mountain Reservats» in North Dakota, um ihn willkommen zu heissen, oder besser gesagt, um ihn auf dem Land willkommen zu heissen, wo er vor achtzig Jahren das Licht der Welt erblickt hatte. Die Freude seiner Gemeinschaft entlud sich am nächsten Tag während der Feier, die ihm zu Ehren organisiert wurde, mit traditionellen Liedern und Tänzen sowie Hunderten von Menschen, die kamen, um ihn zu begrüssen und ihm ihre Geschenke zu überreichen. Zu den bedeutendsten Geschenken gehörte der Adlerstab, der ihm überreicht wurde und der eine starke symbolische Kraft darstellt, «weil er Tausende von Kilometern auf dem Weg für Gerechtigkeit zurückgelegt hat», so wie es der Sprecher der Lakota-Gemeinschaft erklärte. Die Übergabe des Adlerstabes ist eine grosse Anerkennung für Peltiers Engagement im Kampf für Gerechtigkeit. Der Adler, ein heiliges Tier für die Ureinwohner·innen, verkörpert die Verbindung zum Grossen Geist sowie die Weisheit und Widerstandsfähigkeit. Dass Peltier den Adlerstab bekommen hat, ist eine Hommage an seine Unbeugsamkeit und seine Rolle als Symbol des Widerstands sowie des Gleichgewichts zwischen materieller und spiritueller Welt. Seine Verwendung symbolisiert den Respekt vor der Tradition und die Fähigkeit derer, die ihn tragen, ihr Volk zu führen und zu schützen.

Leonard Peltiers Rede während der Feier wurde von Nick Tilsen, dem Präsidenten des «NDN-Collective» zur Verteidigung der Rechte der Ureinwohner·innen[1], eingeleitet. Tilsen begann seine Rede mit einer Würdigung früherer Generationen von Aktivist·innen. Er würdigte den Mut von Leonard Peltier und seinen Vorgängern, die gegen Regierungen kämpften, die entschlossen waren, die Kultur und Spiritualität der überlebenden Ureinwohner·innen zu zerstören. Nick Tilsen betonte, dass Peltiers Freiheit das Ergebnis eines langen Weges des Widerstands sei. Die Opfer vergangener Generationen, von denen viele diesen Moment nicht mehr erleben durften, hätten den Grundstein für wichtige Veränderungen gelegt. Der NDN-Vorsitzende feierte Peltiers Heimkehr als Sieg des seit 500 Jahre andauernden indigenen Widerstandes. Tilsen fügte hinzu, dass Peltier in 49 Jahren nie aufgehört hätte, sowohl für sich selbst zu kämpfen als auch für die Sache von allen Ureinwohner·innen. Deshalb, so der Redner weiter, «wird Leonard Peltier auf der ganzen Welt als der Name eines Kriegers in Erinnerung bleiben, eines Kriegers, der eine der stärksten Regierungen der Welt überdauert hat und als Sieger hervorgegangen ist.»

Ein gestohlenes Leben

Danach ergriff Leonard Peltier selbst das Wort: «Ein Krieger darf nicht weinen», begann er seine Rede. Gerade weil er Angst hatte, emotional zu werden, sprach er nur wenige Minuten vor den Hunderten von Anwesenden: «Ich wurde für etwas verurteilt, das ich nicht getan habe. Ich war ein junger Mann, als ich ins Gefängnis kam, ich war 32 Jahre alt. Heute bin ich achtzig, und ich dachte nicht, dass ich es schaffen würde.» Peltier betonte die Ungerechtigkeit seines Falles und erinnerte daran, dass seine Mitangeklagten wegen Notwehr freigesprochen worden waren, während er als Sündenbock herhalten musste. Trotz des Leids, einschliesslich der Isolationshaft und der verweigerten medizinischen Versorgung, hielt Leonard Peltier den Kampf für die Rechte der Ureinwohner·innen immer aufrecht: «Ich habe dafür gesorgt, dass die Probleme der Indigenen im Mittelpunkt meines Kampfes standen.» Heute, umgeben von seiner Gemeinschaft, drückte er seine Dankbarkeit aus: «Danke für eure Unterstützung. Ich bin stolz darauf, meine Freiheit für euch geopfert zu haben.» Der Aktivist bedankte sich bewegt für die unzähligen Aktionen, die während der langen Jahre der Inhaftierung von Tausenden von Menschen auf der ganzen Welt und Hunderten von indigenen Gemeinschaften für ihn durchgeführt wurden. Trotz des glücklichen Endes müssen wir schmerzlich feststellen, dass Leonard Peltier sein Leben gestohlen wurde. Wir können jedoch auch sagen, dass diese Geste der späten und unerwarteten Gnade durch den ehemaligen amerikanischen Präsidenten und, wie viele behaupten, durch seine Innenministerin Deb Haaland, selbst eine Ureinwohnerin, ihm in gewisser Weise sein Leben zurückgegeben hat – vor allem jetzt, da er endlich Zugang zu medizinischer Versorgung für seine schweren Erkrankungen, darunter ein Aortenaneurysma, bekommen hat.

Während der langen Jahre seiner Inhaftierung verbrachte Peltier seine Zeit damit, Bücher zu schreiben und die bildende Kunst als gewaltfreies Mittel des Ausdrucks und der Anprangerung von Ungerechtigkeiten gegen die indigenen Völker zu nutzen. Er sagt heute, dass er sich weiterhin für die Sache der amerikanischen Ureinwohner·innen mit gewaltfreien Mitteln einsetzen will. Heute wacht Leonard Peltier, obwohl er zu Hause ist und von der Liebe seiner Familie und seiner Gemeinschaft umgeben ist, immer noch mitten in der Nacht auf, in der Angst, dass alles nur ein Traum und er immer noch im Gefängnis sei, wie er der «Associated Press» mitteilte. Der Zurückgekehrte möchte nun seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf seiner Gemälde verdienen, so wie er es aus dem Gefängnis getan hatte, und er will mehr Bücher schreiben. Er möchte auch junge Menschen über die Herausforderungen aufklären, denen sie sich stellen müssen. Peltier sagt, dass er sich gut fühle, wenn er das Engagement junger Aktivist·innen der Ureinwohner·innen beobachte, die weiterhin für die Rechte der indigenen Völker kämpften, da er das Gefühl habe, dass seine 49 Jahre Haft nicht umsonst gewesen seien.

Veronica Tarozzi, freie Journalistin, Italien

Dieser Artikel erschien erstmalig am 10.3.2025 in «Pressenza» auf englischer Sprache. Der Text wurde von Michael Rössler für Archipel übersetzt und gekürzt.

1.Das «NDN Collective» ist eine von Indigenen geführte Organisation mit Sitz in Rapid City, South Dakota. Das Kollektiv wurde 2018 gegründet und arbeitet mit mehr als 200 von indigenen Völkern geführten Gruppen in den USA zusammen.