gezielt als Waffe eingesetzt Längst ist sexualisierte Gewalt gegen indische Frauen hier-zulande ein wohlbekanntes Phänomen. Nur wenig bekannt ist allerdings, dass in Indien von staatlichen Sicherheitskräften sexualisierte Gewalt gegen Frauen als besonders verabscheuenswürdige Waffe bei internen Konflikten gezielt und systematisch eingesetzt wird. Genau diese Lücke schliesst das im April 2018 erschienene Buch «Das Schweigen brechen – Sexualisierte Gewalt in Süd-Chhattisgarh». Darin gelingt es den indischen Autorinnen, die zunehmende Militarisierung in Chhattisgarh historisch herzuleiten, zu analysieren und nachvollziehbar zu machen und somit in einen weiten Kontext zu stellen. Sie zeigen, dass die – unter dem Deckmantel der Bekämpfung der maoistischen Guerillabewegung – vorangetriebene Militarisierung in der Region tatsächlich mit der Durchsetzung von Infrastruktur- und Bergbauprojekten einhergeht. Zahlreiche Projekte sollen gegen den Willen der lokalen, indigenen Bevölkerung durchgesetzt werden. Obwohl die maoistische Bewegung in der Region bereits seit den 1980er Jahren aktiv ist, finden dort grossangelegte, sogenannte «Aufstandsbekämpfungsoffensiven» erst seit den 2000er Jahren statt – seit die Regierung begann, mit Unternehmen Vorverträge für umfangreiche Erschliessungsvorhaben abzuschliessen. Die Autorinnen zeichnen dies anhand konkreter Fallbeispiele nach und zeigen dabei, wie eng Politik, Wirtschaft und Militär miteinander verflochten sind. So wird beispielsweise über den Aufbau und die Exzesse der Bürgerwehrtruppe Salwa Judum berichtet, die zwischen 2005 und 2011 in der Region wütete, mehr als 350’000 Menschen vertrieb und die von staatlichen Institutionen und privaten Unternehmen unterstützt worden war. Die Autorinnen berichten über die Stationierung verschiedener (para-)militärischer Einheiten in immer mehr Feldlagern, von berühmt berüchtigten Polizeiwachen und Führungskräften, sowie von Einsätzen, an denen Einheiten verschiedener Verbände beteiligt waren. Im Kontext von vier grossangelegten Durchsuchungsaktionen, die zwischen Oktober 2015 und Mai 2016 stattfanden, dokumentieren sie ausführlich, wie bei den Einsätzen massenhaft sexualisierte Gewalt eingesetzt wurde. Die Sicherheitskräfte (gruppen-)vergewaltigten demnach gezielt diejenigen Frauen, die versuchten, die Belagerung ihrer Häuser, die Plünderung ihrer Vorräte oder die Zerstörung ihrer Habe zu verhindern. Die Autorinnen kommen zu dem Ergebnis, dass Vergewaltigung und andere Handlungen sexualisierter Gewalt gezielt eingesetzt wurden, um die Bevölkerung in Süd-Chhattisgarh einzuschüchtern, zu demütigen und unter den Dorfbewohner·inne·n Schrecken zu verbreiten. Die Frauen kommen zu Wort Die im Buch aufgeführten Schilderungen der betroffenen Frauen sind schockierend. Die Frauen berichten von Blossstellung und Erniedrigung, von erzwungener Entblössung, von sexualisierten Übergriffen und Vergewaltigungen. Doch das Buch endet nicht damit, den Schrecken der Frauen zu beschreiben, sondern es lässt sie selbst zu Wort kommen und es zeigt, wie sie sich dagegen zur Wehr setzen. Gerade auch darin liegt eine der Stärken des Buches: Es wird den Betroffenen selbst Raum gegeben, in ihren eigenen Worten über das zu berichten, was ihnen widerfahren ist und es zeigt sie als politische Akteure, die trotz widrigster Umstände versuchen, dagegen vorzugehen. In Wort und Bild vermittelt es Einblicke in die Lebensumstände der Dorfbewohner·innen, die kaum Zugang zu Bildung oder medizinischer Grundversorgung haben und deren Dörfer nur schwer zugänglich sind. Lebendig schildert es, wie Frauen aus diesen Dörfern bei zuständigen Behörden vorstellig wurden und es ihnen gelang, nach der indischen Gesetzesnovelle zu Vergewaltigung erstmals die Aufnahme von First Information Reports (in etwa: Anzeigen) durchzusetzen, bei denen Sicherheitskräfte sexualisierter Übergriffe beschuldigt werden. Im umfangreichen Anhang werden u.a. die dabei aufgenommenen Aussagen von mehr als 20 Frauen dokumentiert. Die Autor·innen haben die Frauen nicht nur begleitet, sondern sie aktiv bei diesem Prozess unterstützt. In einem militarisierten Kontext haben sie sich dabei selbst Gefahren ausgesetzt. Auch davon berichtet das Buch. Mehrfach gibt es Einblicke in die schwierige Lage, in die sich indische NGOs, Journalist·inn·en und Menschenrechtsaktivist·inn·en begeben, die solche Missstände anprangern. Im knappen Vorwort der deutschsprachigen Ausgabe wird auch ein Bogen zur Mitverantwortung der Bundesregierung und deutscher Unternehmen gespannt. Es wird darauf verwiesen, dass Deutschland substantiell an der Aufrüstung des indischen Sicherheitsapparates und an zahlreichen Infrastruktur- und Industrialisierungsprojekten beteiligt ist. Line Fleig
Women Against Sexual Violence and State Repression (Hg.) Das Schweigen brechen – Sexualisierte Gewalt in Süd-Chhattisgarh, sarini (Verlag) Taschenbuch | 152 Seiten | broschiert | Spendenempfehlung: Ab 5 Euro Buchbestellungen können angefordert werden bei: sarini.jl@gmail.com, kostenlose PDF-Edition